Vor einem neuen Skiwinter

Zu Zeiten, als in Deutschland stolze zwei Fernsehprogramme den Tagesablauf in den Haushalten bestimmten, da gab es in der ARD immer dann, wenn es draußen kälter wurde, eine vom Bayerischen Rundfunk produzierte Sendung mit dem schönen Titel „Vor einem neuen Skiwinter“. Skisport-Experte Heinz Magerlein, kurioserweise gebürtiger Leipziger, erklärte dem verzückten Publikum vor den Bildschirmen, was in den kommenden Monaten zu erwarten sei, auf Loipen, Hängen und Pisten. Maegerlein stellte tief verschneite Skihänge vor und das, was heute als Trendsport gilt, war damals auch schon möglich: Verwegene Skifahrer und Skifahrerinnen sausten mit ihren Brettern über als Rampen genutzte schneebedeckte Dächer heimeliger Berghütten oder stürzten sich verwegen Steilhänge im Tiefschnee hinab.

Irgendwann wurde die Sendung eingestellt, nicht mehr zeitgemäß, zu wenig Zuschauer. Aber würde Maegerlein heute den neuen Skiwinter präsentieren, müsste er sich ganz anderen Themen stellen, denn die schönen Bilder von einst, sind zwar immer noch möglich, aber eben nur ein Teil der Wahrheit. Und wahrscheinlich müsste die Sendung nun lauten „Wo gibt es noch einen neuen Skiwinter?“

Denn die Probleme rund um den Skisport sind vielfältig. Da wäre der Klimawandel an erster Stelle zu nennen. Der Alpine Skizirkus ist schon betroffen, Auftaktrennen auf dem Grödner Gletscher und die zweite Abfahrt in Zermatt gingen ziemlich schief. Der abenteuerliche Traum des Weltverbandes FIS, die Saison nach vorn zu verlegen, scheiterte an den äußeren Bedingungen. Wobei sich die FIS-Granden schon die Frage gefallen lassen müssen, ob sie nicht lieber die Tests beim letzten Trainingslager im schneesicheren Chile als Start in den neuen Winter genutzt hätten. Aber Kommerz geht bekanntlich vor Vernunft und so schlitterte man in einen desaströsen Alpin-Auftakt.

In anderen Teilbereichen sieht es nicht viel besser aus: Im finnischen Kuusamo wartete man bis kurz vor dem Saisonstart auf den ersehnten Schnee, was den finnischen Verantwortlichen am Polarkreis die Schweißperlen auf die Stirn trieb. In Lillehammer, nach wie vor einer der Sehnsuchtsorte der Nordischen, kämpfte man, um eine ordentlich präparierte Langlaufstrecke zu sichern, inzwischen hat es am Mjösa-See zum Glück auch geschneit. Die Skispringer begannen im polnischen Wisla gleich mit einem Wettkampf auf einer Eis-Spur und landeten wie bei den Sommer-Wettbewerben auf Matten. Ein Tabu-Bruch, wer noch vor wenigen Jahren mit der Idee beim Weltverband vorstellig geworden wäre, den hätte man wohl im günstigsten Falle ausgelacht. Andere Veranstalter – gerade in Mitteleuropa – überlegen, ob Schneedepots, der Transport aus Eishallen oder alternative Lösungen die Wettkämpfe absichern könnten. Aber dabei ploppt schon das nächste Problem auf – die Energiekrise.

Ja – das Knowhow zum Erzeugen der weißen Pracht ist längst vorhanden. Schneekanonen sind kein Hexenwerk, aber Stromfresser. Und das führt bei sprunghaft steigenden Energiekosten zu einem Teufelskreis, nicht nur im Hochleistungsbereich, sondern auch beim Nachwuchs- und Breitensport, Wer kann, wer soll sich das Beschneien alpiner Pisten zu vertretbaren Preisen noch leisten, ohne dass die geneigten Wintersportfreundinnen und -freunde am Ende zum Eisblock erstarren, wenn sie die Preise für die Skipässe lesen. Welcher kleine Verein kann die Kosten für den Einsatz der Schneekanone(n) stemmen, ohne Gefahr zu laufen, am Ende des Winters Insolvenz anmelden zu müssen. Welcher Veranstalter ist bereit, das wirtschaftliche Risiko auf sich zu nehmen und den Hut in den Ring zu werfen, um Wettkämpfe durchzuführen. Man blickt gerne auf den Weltcup und berichtet da von Sorgen und Nöten der Gastgeber. Doch Weltcups sind nur die Spitze des Eisberges. Die vielen Veranstaltungen, die den Unterbau des Sports bilden, sei es in Alpen- oder FIS-Cup, sei es international oder national im Nachwuchs, die haben ähnliche Kosten aber viel weniger Chancen auf Einnahmen.

Was für den Skizirkus gilt, das ist natürlich auch für den Biathlon-Sport zutreffend. In Oberhof wurde extra eine Schneehalle gebaut, um die WM im Februar 2023 abzusichern. Die Kosten sind erheblich, die Gastgeber stehen – nicht nur in Thüringen – vor dem Dilemma, der Bevölkerung erklären zu müssen, warum einerseits die Heizung in der heimischen Hütte gedrosselt werden soll, andererseits die Kühlsysteme mit voller Last laufen. Ein Widerspruch, der sich wohl auch in den kommenden Jahren kaum auflösen lässt.

Womit wir bei den Perspektiven wären. Die Fußball-WM in Katar und die damit einhergehenden Terminverschiebungen in vielen anderen Sportarten (die Handball-EM der Frauen wurde beispielsweise um einen vollen Monat nach vorn verlegt) bleibt (hoffentlich) eine einmalige Ausnahme. Zeigt aber die dauerhaft herrschende Gefahr. Husten die „Big-Player“, hat der Rest der Sportwelt eine Lungenentzündung. Zu den hoffentlich lösbaren Aufgaben gehört auch der interne Zwist beim Ski-Weltverband FIS. Klar sein müsste den Entscheidungsträgern am Stammsitz in Oberhofen in der Schweiz, dass die Zeit interner Kämpfe zu Ende gehen muss, sonst droht mehr als nur ein Imageschaden, sonst nimmt die Kernsportart Olympischer Winterspiele dauerhaft Schaden.

Der ist schon entstanden, weil das Internationale Olympische Komitee im Sommer der Traditionssportart Nordische Kombination die Gelbe Karte gezeigt hat, die Frauen nicht ins Olympische Programm aufnehmen will. Eigentlich ist die Kartenfarbe sogar Gelb-Rot, denn den Männern ließ man eine Gnadenfrist bis zu den Spielen 2026, ändert sich bis dahin nichts Grundlegendes, sind auch die Männer raus aus dem Olympiaprogramm. Und die Signale, die der aktuell lieber um sich selbst kreisende Weltverband FIS nach der IOC-Entscheidung ausgesendet hat, sind eher verheerend als zukunftweisend. Mit Volldampf auf den Abgrund zu, das scheint das Motto zu sein.

Der hausgemachten Probleme gibt es darüber hinaus noch viele weitere: Der Streit um neue Skimarken, Bindungssysteme, Helme und Anzüge ist so alt, wie das professionelle Skispringen selbst. Der Streit um das Verbot von Fluorwachsen lässt sich dagegen nicht so einfach kategorisieren. Natürlich geht es um Umweltschutz, aber auch um Einfluss, um sportliche Vor- oder Nachteile. Klar ist, dass man die Umweltschädigungen so gering wie möglich halten muss. Klar ist aber auch, dass die durch auf Skier aufgetragenen Verunreinigungen in der Gesamtgemengelage weltweiter Schäden durch Fluoride im Promillebereich liegen, die Sache darüber hinaus auch nach mehreren Anläufen offenbar nicht kontrollierbar ist und bleibt. Abgesehen vom irrwitzigen Kosten-Nutzen Verhältnis für die dazu notwendigen Geräte, die man extra anschaffen müsste. Das mag im Weltcup eventuell noch darstellbar sein, spätestens bei den Volksläufen gerät die Übung an ihre Grenzen. Und wer überprüft eigentlich die Freizeit-Skifahrer:innen?

Während die Fluor-Problematik eher marginal erscheinen mag, gleiches gilt übrigens auch für die immer wieder aufbrechenden Diskussionen um die Munition beim Biathlon, wird der Klimawandel selbst wohl das gravierendste Problem der Zukunft bleiben.

Der Biathlon-Weltverband IBU beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit der Frage, ob der Sport auf Rollerski auch im Winter darstellbar ist. Glaubt man den Athletinnen und Athleten, dann wohl eher nicht. Ähnliches gilt für die Skispringer:innen, also das Motto: Ausnahmsweise ja, grundsätzlich lieber unter den gewohnten winterlichen Bedingungen.

Aber wo finden die sich noch? Müssen tradierte Wettkampfpläne neu gedacht werden? Müssen Reisepläne möglicherweise komplett verändert werden. Sollte im ersten Drittel des Winters verstärkt oder gar ausschließlich auf Skandinavien gesetzt werden, der Wettkampfkalender im Hochwinter dann in Mitteleuropa stattfinden. Funktionieren Wettbewerbe im Mittelgebirge überhaupt noch. Rechtfertigen die Energiekosten das Sporttreiben im Schnee oder muss man darauf verzichten? Wird Wintersport unter Sommer-Bedingungen zum Ganzjahres-Sport oder fällt er ganz weg? Und welche Auswirkungen – positive wie negative – hat das auf den Breitensport, den Nachwuchs, auf den Tourismus, auf das Freizeitverhalten der Menschen, auf deren Gesundheit, aber auch auf die Wirtschaft, auf die produzierenden Bereiche, Hotellerie, Gastronomie.

Und so ist der Beginn eines neuen Skiwinters der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts eben nicht mehr vergleichbar mit dem, was es in den 20ern des 21. Jahrhunderts zu erleben gibt. Wie es in 10 oder 20 Jahren aussieht, das kann niemand vorhersagen. Aber sich darum zu bemühen, Voraussetzungen zu schaffen, die Wintersport auch in den kommenden Jahrzehnten möglich machen, dafür sollten, dafür müssen alle Beteiligten gemeinsam sorgen.

Fotos: K.Voigt Fotografie

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