Tradition und Moderne – Wo Biathlon herkommt und was die Zukunft bringt

Oberhof ist in den nächsten Wochen das Sehnsuchtsziel der Biathletinnen und Biathleten. Der Wintersportort in Thüringen richtet im Februar die Weltmeisterschaft aus. Wieder einmal. Zuletzt wurde 2004 in einem der weltweit bekanntesten Zentren dieser Sportart um WM-Medaillen gekämpft.

Uralt und doch modern

Wer sich der Sportart nähert, der muss lange zurückblicken. Ältester bekannter Hinweis auf den Zweikampf mit Waffe und Skiern ist eine Ausführung des römischen Dichters Vergil. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dort mit Pfeilen auf Scheiben geballert wurde, die Rede ist hier eher von der Jagd. Auch die Runen, die man auf dem Gebiet des heutigen Norwegen fand und mindestens 1.000 Jahre alt sind, also halb so alt wie die Schriften des alten Römers, zeigen Menschen, die mit Pfeil und Bogen auf Skiern durch verschneite Wälder liefen. Sicher nicht zum Spaß, sondern aus Gründen der Nahrungsbeschaffung, deshalb dienen diese frühen Zeugnisse nur bedingt als Basis der Sportart. Auch der militärische Aspekt soll an dieser Stelle erwähnt werden. Länder und Regionen, in denen der Winter eine echte Basis hatte und hat, also das heutige Schweden, Norwegen, Finnland oder Russland besaßen bereits im Mittelalter ganze Militäreinheiten auf Skiern. Irgendwie erscheint es deshalb logisch, dass in Norwegen der erste Biathlon-Verein der Welt entstanden sein soll. 1861 müsste das gewesen sein, der Verein habe in Trysil existiert, behaupten die Quellen, sicher belegen lässt sich das nicht mehr.

Militärpatrouille und Wechsel ins Zivile

Klar ist aber, dass dieser Armee-Sport ausreichende Popularität gewann, um internationale Wettbewerbe zu erlauben. Die wurde so interessant, dass sie Eingang ins Programm Olympischer Winterspiele fand. Was heute möglicherweise merkwürdig anmutet, aber man denke an die ersten Olympischen Schritte mit Schießen, Reiten, Fechten – in diese Phalanx reihte sich die Sportart ein. Bis 1948 war diese Militärpatrouille Bestandteil der Winterspiele. Sie bestand übrigens notwendigerweise aus Militärangehörigen, einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei Soldaten. Besonders hervorzuheben und erwähnenswert: Schießen durften nur die unteren Ränge, der Offizier nicht. Und gelaufen wurde in Uniform. Es gibt in alten Olympiabüchern sogar historische Fotos, die belegen, dass die Offiziere mit Pistole unterwegs waren – warum auch immer. Nach dem zweiten Weltkrieg und der damit verbundenen Entmilitarisierung des Sports wurde der Mehrkampf im Schnee – inzwischen eigentlich ohne zutreffenden Namen auch für Zivilisten möglich. 1948 gab es einen Winter-Fünfkampf, bestehend aus Reiten, Fechten, Schießen, Skilanglauf und einem Abfahrtsrennen. Diese sehr spezielle Form der Körperertüchtigung wanderte unter das Dach des Modernen Fünfkampfs. Ebenso die Militärpatrouille. Weil die aber nicht mehr unter diesem Namen firmieren sollte, verpasste der Verbandspräsident, der Schwede Sven Thofeld, dem Zweikampf aus Schießen und Laufen kurzerhand den Titel Biathlon. Treppenwitz der Geschichte: Thofeld war im richtigen Leben Armeegeneral. Das Internationale Olympische Komitee erkannte Biathlon 1954 an und obwohl dieser Form des Wintersports stetig mehr Fans fand, blieb man als eigenständige Vereinigung weiterhin unter dem Dach der Fünfkämpfer. Erst im letzten Jahrzehnt des alten Jahrhunderts erfolgt die Trennung, zunächst inhaltlich, dann auch formal, exakt am 2. Juli 1993 erblickte der eigene Verband, die Internationale Biathlon Union, kurz IBU, auf dem Flughafen in London-Heathrow das Licht der Welt.

Frauen- und Fernsehsport

Als die IBU als Verband im übertragenen Sinne noch in den Windeln lag, da hatten sich die Frauen in diesem Sport längst etabliert. Wenngleich es kein einfacher Kampf war für das schöne Geschlecht, die Herren der Schöpfung hatten mit Verweis auf die militärischen Ursprünge den Biathletinnen (zu) lange erfolgreich versucht, den Einzug der Frauen in den Sport zu verhindern. Deshalb dauerte es bis 1981, ehe der erste Wettbewerb für die Damen stattfinden können. Und hier spielt die damalige Tschechoslowakei eine tragende Rolle, Jachymov (früher Joachimsthal) auf dem Kamm des Erzgebirges in der Nähe von Fichtelberg und Klinovec (Keilberg) gelegen, war Austragungsort der Premiere. Eine Dekade später erfolgte – nahezu im Stillen – die wohl bis heute wichtigste Veränderung der Sportart. Zusammengefasst in einem Satz müsste man formulieren: Biathlon wurde fernsehtauglich. Dies geschah, indem man die Regeln Stück für Stück veränderte ohne die Sportart grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber die Formate wurden kürzer, TV-tauglicher, für Fernsehzuschauer leichter zu durchschauen. Massenstart, Sprint, Verfolgung, eine Veränderung der Streckenlängen, Strafrunden statt Strafminuten – alles trug dazu bei, das öffentliche Interesse zu potenzieren. Wichtig jedoch – das Grundprinzip der Sportart wurde dabei nie in Frage gestellt, die Kombination der Ausdauersportart Skilanglauf mit der Präzisions- und Konzentrationssportart Schießen.

Alte und neue Heldensagen

Mindestens genauso wichtig wie die Regeländerungen war der glückliche Umstand, dass die Deutschen im letzten Jahrzehnt des alten Jahrhunderts in der Weltspitze kräftig mitliefen und schossen und damit den größten Fernsehmarkt in Europa ordentlich aufmischten. Noch heute ist die Sportart im Winter die beliebteste. Und die Liste der deutschen Heldinnen und Helden ist lang: Peter Angerer, Frank Ullrich, Frank-Peter Rötsch, Uschi Disl, Petra Behle, Mark Kirchner, Antje Misersky, oder auch Frank Luck, Sven Fischer, Michael Greis, Rico Gross oder Andrea Henkel. Die Liste ist natürlich unvollständig. Dann kam die Zeit der ersten “Umsteigerin“ vom Langlauf zum Winterzweikampf. Kati Wilhelm. Deren große Stunde schlug 2002 bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City, als ihr Stern aufging. Wilhelm bereitete den Weg für den ersten deutschen Superstar der Sportart, Magdalena Neuner. Deren Nachfolgerin, Laura Dahlmeier war die vorerst letzte Überfliegerin aus deutscher Sicht. Aber halt: Es gibt noch eine junge Dame, die in dieser Ahnengalerie fehlt. Weil sie noch aktiv ist. Denise Herrmann-Wick gewann 2014 in Sotschi Bronze mit der Langlaufstaffel, acht Jahre später Gold im Einzel und wieder Staffel-Bronze mit dem Biathlon-Quartett. Den kompletten WM-Medaillensatz hat die Sächsin auch im Medaillenschrank, die silberne Variante gleich mehrfach. Oberhof bietet die Gelegenheit, die Medaillenbilanz weiter aufzupolieren und natürlich hätte niemand etwas dagegen, wenn die WM im Thüringer Wald die Geburtsstunde eines neuen Stars wäre.

Und wie weiter?

Die Vorbereitungen auf die Welttitelkämpfe haben aber auch die Probleme aufgezeigt, die der Sportart schon jetzt, wahrscheinlich aber noch viel mehr in der Zukunft drohen. Da wäre die globale Klimaerwärmung. In Mittelgebirgen wird es immer schwieriger, Wettkämpfe auf Schnee abzusichern, in Oberhof unternahm man größte Anstrengungen, denn die WM ist auch immer ein Prestigeobjekt und ein wirtschaftlicher Faktor. Und selbstverständlich muss in diesem Zusammenhang auch darüber nachgedacht werden, wie Nachwuchs in der Sportart gewonnen werden kann. Der Nachhaltigkeits-Klassiker schlechthin! Nachhaltig heißt aber auch abzuwägen, ob Weltcups und nachgeordnete internationale Wettkämpfe – verbunden mit den Reisen und Transportwegen – künftig in dieser Form noch zeitgemäß sind. Über den Teilbereich Schießen mit den damit zusammenhängenden Aspekten wie Materialverbrauch und Umweltschutz hat man beim Weltverband auf dem Schirm. Die IBU denkt sogar darüber nach, ihren Sport zur Ganzjahres-Sportart auszubauen. Ergebnisoffen! Denn Biathlon ist bis jetzt Kernsportart des Winters. Die Wettbewerbe auf Skirollern im Sommer bestenfalls ein Ausgleich. Aber vielleicht wird man sich daran gewöhnen müssen, dass zumindest partiell die Roller auch im Winter zum festen Besteck der Sportlerinnen und Sportler gehören.

Fotos: K.Voigt Fotografie

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