Boe lief selbst dem Wind davon

Der Norweger dominiert die Saison nach Belieben und pulverisiert Rekorde

In der Geschichte des Biathlon-Sports gibt es ausreichend Heldinnen und Helden. Magdalena Forsberg gehört dazu, Alexander Tichonow, Frank-Peter Roetsch und Frank Ullrich, Liv-Grete Skjelbreid, Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier, Rafael Poiree oder Darja Domratschewa und Ole-Einar Björndalen. Sie alle haben einen festen Platz in der Ruhmeshalle ihrer Sportart, aber für alle gilt spätestens nach dieser Saison: Ein Stückchen nach hinten rücken bitte für den neuen Biathlon-Gott! Der kommt aus Norwegen, dominiert die Konkurrenz seit Jahr und Tag und hört auf den wohlklingenden Namen Johannes Thingnes Boe. Die Saison 2022/23 war seine bisher beste.

Der nahezu Unschlagbare ist inzwischen 29 Jahre alt, stammt aus dem 3.000-Einwohner-Ort Stryn in der Provinz Vestland und dass der Norweger Biathlet wurde, daran ist sein fünf Jahre älterer Bruder Tarje „schuld“, der den eigentlich auf dem Weg zu einer sportlichen Karriere als Fußballer befindlichen Johannes einfach überredete, es auf Skiern und mit Gewehr zu versuchen. Da war der heutige Überflieger schon 16 Jahre alt. Bruder Tarje war es übrigens auch, der den jungen Mann zunächst verbal einer breiten Öffentlichkeit vorstellte, indem er im Dezember 2010 im Anschluss an den ersten eigenen Weltcupsieg darauf hinwies, dass es da noch einen besseren gäbe – seinen jüngeren Bruder.

Der jüngere Boe dominiert inzwischen die Szene und Johannes Thingnes tat das in diesem Winter in bisher unbekannter Manier. Bei der WM in Oberhof gewann der Dominator sage und schreibe sieben Goldmedaillen und es war schon fast ein Wunder, dass es in der Staffel und im Massenstart „nur“ zu Silber und Bronze reichte. Dennoch war diese Art des Medaillenhamsterns ein neuer Rekord. Im Weltcup hatte Boe ganz zu Beginn in Kontiolahti mit Platz 12 einen Fehlstart hingelegt, die beiden dritten Plätze in der Verfolgung und im Massenstart im französischen Le Grand-Bornand muss man fast als Misserfolg werten. Ansonsten galt: War Boe am Start, war Platz eins vergeben. Vier Siege mit der Staffel, sensationelle 16 in den Einzelentscheidungen – das gab es auch noch nicht. Johannes Thingnes Boe pulverisierte regelrecht alle Rekorde, seine Laufzeiten sind derart beeindruckend, dass wohl selbst ein Start bei den Langlauf-Spezialisten im Weltcup nicht ohne Aussicht auf Erfolg wäre. Zum Glück für die Konkurrenz verfügt Norwegen aber bei den Langlaufherren über ausreichend erfolgreiches Personal. Es gibt aber noch Ziele für den Erfolgreichen. Mehr Siege – rechnet man alle Wettbewerbe zusammen – hat noch immer Ole Einar Björndalen. Geht die Boe-Show auch im nächsten Winter so weiter, dann purzelt auch dieser Rekord.

Und dann sind da noch die Teamkollegen, die Johannes auf der Verse liegen. Sturla Holm Laegreid wartet zum Beispiel auf dem zweiten Platz auf seine Chance den Überflieger endlich zu schlagen und auch Vetle Sjaastad Christiansen konnte sich mit der Kristallkugel für den Einzel und den Massenstart in der Saison erfolgreich behaupten.

Während Johannes Thingnes Boe also die gesamte Sasion über wie ein Hurrikan durch das Feld rauschte, verlief die Saison bei den Frauen durchaus spannender. Was vielleicht auch daran lag, dass die in den letzten Jahren dominanten Norwegerinnen Tiril Eckhoff und Marte-Olsbu Roiseland verletzungs- und krankheitsbedingt nicht zu der Form auflaufen konnten, die sie in den Wintern zuvor zum Maß der Dinge gemacht hatten. Beide erklärten ihren Rücktritt vom aktiven Sport zum Saisonende, Eckhoff, ohne in diesem nacholympischen Winter ein einziges Mal an den Start gegangen zu sein, Olsbu-Roiseland mit zwei Goldmedaillen von der WM in Oberhof im Gepäck, was sie zur erfolgreichsten Teilnehmerin bei Welttitelkämpfen werden lässt – mit nun insgesamt 13 WM-Goldplaketten. Ebenfalls nicht mehr an den Start gehen will Frankreichs Anais Chevalier-Bouchet und Deutschlands Beste: Denise Herrmann-Wick. Die verabschiedete sich in Oslo standesgemäß mit den Gewinn der kleinen Kristallkugel für den Sprint-Weltcup, am Holmenkollen gab es für die Sächsin noch einen Erfolg, passend zur Karriere. Denn eigentlich hatten viele Insider schon nach dem Gewinn der Goldmedaille nach den Olympischen Spielen in Peking über das Laufbahnende der mittlerweile 34-jährigen spekuliert, die einst als Langläuferin begann, in Sotschi 2014 mit der 4×5 km Staffel Bronze gewinnen konnte und ein paar Jährchen später eine neue Laufbahn als Biathletin einschlug. Aber Herrmann-Wick wollte noch nicht aufhören, die Heim-WM in Oberhof schien ein reizvolles Ziel, das sie erreichte. Mehr noch – die Welttitelkämpfe am Grenzadler wurden ihre Meisterschaften, Denise Herrmann-Wick avancierte zum Publikumsliebling und mit Gold und zwei Mal Silber waren die Festtage von Oberhof auch die insgesamt erfolgreichsten ihrer ohnehin erfolgreichen Laufbahn.

 

Erfolgreichste Biathletin in diesem Winter jedoch konnte die Französin Julia Simon werden. Mit ihrem Gesamtweltcupsieg und den beiden kleinen Kristallkugeln im Massenstart und der Verfolgung dominierte sie diesen Winter und holt nach 18 Jahren den Gesamtsieg der Frauen wieder nach Frankreich. Außerdem krönte Julia Simon sich und ihre Teamkolleginnen mit der Kristallkugel der Staffeldisziplin. Bei den französischen Männern lief es allerdings nicht so gut wie in der vorhergegangenen Saison. Der erfolgreichste Biathlet in der Olympia Saison Quentin Fillon Maillet hatte mit den vielen Presseterminen des Sommers zu kämpfen und war am Ende selbst ein bisschen enttäuscht von seiner Leistung. Da tröstete es den Franzosen nur ein bisschen, dass er in Oslo seine Saison mit einem Podestplatz in der Verfolgung einem guten vierten Platz im Massenstart beenden konnte. Damit bleibt er auch in diesem Jahr bester Franzose in den den Top der Welt. Auch seinen Teamkollegen ging es in dieser Saison nicht besser. Fabian Claude stand meist sich selbst und seinen schnellen Laufzeiten mit seinen Schießfehlern im Weg, er beendete die Saison dennoch auf Platz zehn. Auch Antonin Guigonnat war meistens im Mittelfeld anzutreffen. Am schlimmsten erwischte es jedoch Emilien Jacquelin der nicht zu seiner Form fand und seine Saison nach der WM in Oberhof beendete. Dennoch gab es ein Highlight, die Franzosen schlugen nämlich die Norweger in Oberhof und holten sich in der Staffel die Goldmedaille.

So endete eine Saison mit Höhen und Tiefen, Ausstiegen und ein paar Abschiedstränen. Aber die nächste Generation klopft schon an die Tür. Und neue, spannende Fragen müssen beantwortet werden. Wie gelingt der Trainerwechsel im Deutschen Skiverband nach dem überraschenden Rücktritt von Mark Kirchner? Wer schließt die Lücke im norwegischen Frauenteam? Hängt Dorothea Wierer noch eine weitere Saison dran? Bleibt Boe auch in der kommenden Saison so dominant? Wer sind die neuen Talente im Weltcupzirkus? Wer drückt der WM in Nove Mesto seinen Stempel auf?  Fragen über Fragen – es wird Zeit, dass langsam wieder Winter wird.

Foto: K.Voigt Fotografie

Share on facebook
Share on twitter
Share on tumblr
Share on whatsapp
Share on email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Ich stimme der Datenschutzerklärung zu