Pokerface oder Pleitegeier

Biathleten nutzen vor Olympia alle Möglichkeiten – aber wer findet die Erfolgsspur?

Wer in den letzten Tagen ins Lager der Biathletinnen und Biathleten blickte, der schaute schon mal verwundert. Spätestens nach dem Jahreswechsel wurde es wild bei den Winterzweikämpfern. Oberhof, Ruhpolding, Antholz – diese drei Standorte gelten seit Jahrzehnten als gesetzt im Weltcup, als Kultstätten der Sportart, die Faszination des Wechselspiels zwischen attraktiven und anspruchsvollen Strecken und dem unerhörten Publikumszuspruch ist seit Jahr und Tag ein Highlight der Saison.

In diesem Jahr aber kam alles anders. Erstens fehlte an allen drei Standorten das Publikum und damit fast die wichtigste Komponente des Spektakels. Weil ein Virus die Welt in Atem hält. Mit Auswirkungen natürlich auch auf den Sport. Nicht nur, dass keine Zuschauer erlaubt sind – weil die Spiele im Zeichen von COVID 19 stehen, das eigentlich inzwischen COVID 19-22 heißen müsste, reagierten die potentiellen Beteiligten bereits vorab. In Oberhof beispielsweise fehlten einige Stars, weil sie nach Weihnachten mit Blick auf Peking noch einmal eine intensive Trainingsphase einlegen wollten, da passten Wettkämpfe nicht ins Programm. In Ruhpolding ließen andere Nationen aus, die Norweger beispielsweise gingen noch einmal in die Höhe, andere machten tatsächlich Pause. Gewollt, wohlgemerkt. Und Antholz ist schon seit Jahr und Tag ebenso populär wie umstritten. Weil die Strecken in 1.600 Metern Höhe liegen, die Luft dünner wird, der Sauerstoffgehalt sinkt. Nicht jedermanns Sache, besonders deshalb, weil Effekte der Maximalbelastung in der Höhe immer mal wieder zu einem Leistungsabfall führten, das jedoch will mit Blick auf Peking Niemand.

Trotzdem wird gepokert wie wild. Johannes Tignes Boe und Kollegen beispielsweise waren am Start. Weil sie – im Gegensatz zur Konkurrenz – die Hochbelastungsphase vor Peking eine Woche vorverlegt hatten, deshalb in Ruhpolding schwänzten. Das könnte Sinn machen. Immerhin: Die Olympiastrecken in China liegen ähnlich hoch wie die Kultstrecke in Südtirol. Und so kämpfte die Garde der Nordmänner in Italien um Weltcuppunkte, während andere Nationen auf der Coach lagen und das Geschehen am Fernseher verfolgten. Und so suchte man ein paar namhafte Russen, Schweden oder Franzosen um Weltcup-Spitzenreiter Quintin Fillot-Maillet in Italien vergebens.

Die Deutschen entschieden sich mal wieder für eine Mixtur, bei den Männern kamen ein paar Jungs nur für einzelne Wettbewerb ins Antholzer Hochtal, andere, wie Erik Lesser, blieben ganz weg und Bendedikt Doll zum Beispiel, verfuhr nach dem Motto: Veni – Vidi – Vici. Doll kam, sah und siegte. Das ist zumindest für das Selbstbewusstsein schon mal Gold wert, selbst wenn bei der Konkurrenz einige Top-Stars fehlten. Nicht so Johannes Tignes Boe: Der hatte in den letzten Wintern dominiert. Aber schon zum Saisonstart verkündete sein ebenfalls extrem erfolgreicher Bruder Tarje, der Weltcup sei in diesem Jahr überhaupt kein Thema. Für die Boe-Brüder zählt in diesem Winter nur eines: Die Olympischen Spiele. Platz 2 im Massenstart und der Sieg mit der Staffel in Antholz nimmt man da eher so nebenbei mit, denn der gesamte Saisonaufbau wurde auf den Höhepunkt in China ausgerichtet, das gelbe Trikot, die Kristallkugel für den Champion egal. Verständlich, diese Meriten hat der Norweger schon eingesammelt. Aber bei den Spielen glänzen, die Konkurrenz dort beherrschen – das ist das Ziel. Dafür wurde trainiert und taktiert, investiert und weggelassen und eben auch gepokert. Die DSV-Olympiastarter reisen beispielsweise nach dem Weltcup in Antholz an, bereiten sich in der Höhe auf Peking vor. Deshalb ist es in diesem Winter so wie beim Pokern – ob fullhouse oder gar kein Blatt, das zeigt sich erst im Spiel. Zwischen Gold und Pleite liegen manchmal eben nur Nuancen.

Foto: K.Voigt

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