Die Erfinder des Nordischen Skisports dominieren die Saison

Skispringerinnen etablieren sich weiter – sorgenvoller Blick nach vorn

Es gibt ein Bonmot aus dem Fußball. Danach hat die Kirche irgendwann in den späten sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf Litfaßsäulen plakatiert: „An Gott kommt Keiner vorbei!“ und ein Scherzbold anschließend unten diesen Sinnspruch gekritzelt: „Außer Stan Libuda!“ Für die Jüngeren: Reinhard „Stan“ Libuda war ein begnadeter Rechtsaußen, spielte vorzugsweise für Schalke 04 und der Spruch von einst könnte heute nahezu 1:1 für den Nordischen Skisport übernommen werden, nach dem Motto: „An Norwegen kommt Niemand vorbei! – außer den Skispringerinnen!“

Heja Norge!!!

Denn die nacholympische Saison wurde zum Triumphzug für Athletinnen und Athleten aus dem Mutterland des Nordischen Skisports. Ob im Skispringen der Männer, in der Nordischen Kombination bei den Damen oder im Langlauf – die großen Kristallkugeln für die Weltcup-Besten gingen immer nach Norwegen. Dabei waren es – zumindest über den gesamten Saisonverlauf gesehen – meistens Überflieger, die die Konkurrenz regelrecht pulverisierten. Man muss in die Reihe der Halvor Egner Granerud, Johannes Hoesflot Klaebo, Gyda Westvold Hansen oder Tiril Udnes Weng eigentlich auch Jarl Magnus Riiber aufnehmen. Der landete im Gesamtweltcup zwar hinter Österreichs Johannes Lamparter, doch das nur, weil Riiber krankheitsbedingt acht der in Summe 22 Wettbewerbe verpasst hatte, von den 14 Bewerben, bei denen er startete, gewann Riiber acht. Und dominierte die WM in Planica nach Belieben. Klarer siegte eigentlich nur Landsfrau Gyda Westvold-Hansen, die lies bei allen Starts überhaupt keine Luft ran – gewann alle Wettbewerbe, die WM eingeschlossen. Und bei Halvor Egner Granerud darf man konstatieren, dass er zwei der drei Top-Ereignisse des Winters bestimmte – die Vierschanzentournee und die RAW-Air, bei der WM dagegen reichte es in den Einzelentscheidungen wieder nicht zum Sprung aufs Podest. Johannes Hoesflot Klaebo dagegen performte von Saisonbeginn bis zum Saisonende und durfte dabei feststellen, dass die Konkurrenz – wenn überhaupt – mit Pål Golberg aus dem eigenen Lager kam. Bei Tiril Udnes Weng dagegen war es die Konstanz, die für den Gesamtsieg reichte. Ganz oben stand die 26-jährige in den Einzelentscheidungen in der abgelaufenen Saison nämlich nur ein einziges Mal, in Val Müstair in der Schweiz während der Tour de Ski. Aber weil die Norwegerin eben oft vorn mitmischte, sammelte sie ausreichend Punkte für den Gewinn des Gesamtweltcups.

Skispringen bei den Frauen in einer neuen Dimension

Allerdings: Die ganz große Dominanz der Norwegerinnen im Skilanglauf scheint nach der Ära Björgen/Johaug erst einmal vorbei, Schwedinnen, Französinnen und eine gewisse Katharina Hennig aus Oberwiesenthal rütteln am Stuhl der Skandinavierinnen. Das gilt auch für die Skispringerinnen, obwohl Rückkehrerin Maren Lundby und Anna Odine Stroem sowohl bei der WM als auch im Weltcup vorn mitmischten. Aber die Konkurrenz für die Norwegerinnen, ob aus Österreich, Japan, Kanada oder Slowenien, ist breit aufgestellt und aus deutscher Sicht war es besonders erfreulich, dass mit Katharina Althaus die dominierende Athletin der WM mit 3x Gold und einer Bronzemedaille das DSV-Trikot trug. Fast noch wichtiger für die Frauen aber war die Tatsache, dass sie zum Saisonende in Vikersund zum ersten Mal einen Wettkampf auf der Skiflugschanze absolvieren konnten. Kritiker warnten und warnen noch immer vor dem hohen Risiko dieser Spezialdisziplin, speziell für Frauen, insbesondere wegen der höheren Anfahrt-Geschwindigkeit. Die Frauen aber wissen um die Gefahren, Vikersund verlief sicher und brachte den Skispringerinnen neue Erkenntnisse. Nun soll der nächste Schritt gelingen, die Vierschanzentournee auch für die Ladies. Ob schon in der kommenden Saison, das entscheidet die FIS erst im späten Frühjahr.

Was kommt?

Ob im kommenden Winter Russinnen und Russen wieder am Start sein werden und sportlich für mehr Belebung – speziell im Langlauf – sorgen können, das bleibt abzuwarten und ist in erster Linie sicherlich keine alleinige Entscheidung des Sports. Ob die Dominanz der Klaebo, Riiber und Westvold-Hansen auch im „Zwischenjahr“ bestehen bleibt – außer der Skiflug-WM am Kulm ist die Saison 2023/24 praktisch WM-frei – steht in den Sternen, zu klar war im abgelaufenen Winter die Distanz zwischen diesen dominierenden Athletinnen und Athleten und der Konkurrenz. Möglicherweise darf man sich an neue Namen gewöhnen, mit der erst 17-jährigen Nathalie Armbruster aus dem Schwarzwald klopfte ein großes Talent schon mal sehr heftig an der Tür zur Weltklasse an. Und wenn man ehrlich ist, hat Armbruster mit ihrer Performance in diesem Winter längst gezeigt, dass sie Weltklasse-Leistungen abrufen kann. Bei Polens Skispringern wird man abwarten müssen, ob und wie der Generationswechsel bewältigt wird, die Herren Zyla, Stoch und Kubacki – seit Jahr und Tag Weltspitze – werden sicherlich nicht mit Japans Noriaki Kasai oder Simon Ammann aus der Schweiz um den Titel des Altersweltmeisters mitspringen wollen. Im Langlauf stellt sich auch ohne russische Beteiligung bei den Männern die Frage, wer künftig in die norwegische Phalanx einbrechen kann und Deutschlands Skispringer werden sicherlich auch klar analysieren, woran es lag, dass der nacholympische Winter, abgesehen von den Springen auf der kleinen Schanze bei der WM, eher einer war, den man am liebsten schnell abhaken möchte.

Neuer Winter – alte Sorgen

Was auch am Material gelegen haben kann. Hier sind Innovationen die eine Seite, Regelkonformität eine andere. Es wird eine Aufgabe der FIS-Verantwortlichen sein, darüber nachzudenken, wie man künftig eindeutige und klar kontrollierbare Regeln aufstellt, die eben keinen Interpretationsspielraum bieten. Dass man den nutzt, ist den Beteiligten nicht vorzuwerfen, sondern ein Problem derjenigen, die diese Spielräume zulassen. Das gilt auch für das leidige Fluor-Wachs-Problem – solange diverse Verbote nicht kontrolliert werden können, sind sie eher sinnfrei.

Womit wir bei den globalen Problemen angekommen wären. Immer wärmere, immer schneeärmere Winter in Mitteleuropa sind der natürliche (wenngleich oft auch vom Menschen verursachte) Feind des Wintersports. Weil die Fußball-WM den Skispringern in den Terminplan funkte, begann die Wintersaison 2022/23 schon Anfang November des letzten Jahres in Wisla – auf Matten. Für das Skispringen eine Lösung – für Langlauf und Kombination eher nicht. Auch im abgelaufenen Winter mussten Wettkämpfe wegen Schneemangels ausfallen oder verschoben werden. Aber nur in Skandinavien oder schneesicheren Regionen in Übersee zu starten, würde den nordischen Skisport aus seiner gewohnten Umgebung und damit auch aus dem Blickwinkel der Fans vertreiben, ist also auch keine Lösung. Bliebe noch der Wettkampfkalender an sich: Skispringen von Anfang November bis Anfang April ist ebenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss – weniger ist manchmal mehr. Was in der kommenden Saison schon deshalb möglich sein wird, weil die WM-Pause nicht stattfindet. Dafür will die FIS ein neues Format entwickeln – eine Mini-Olympiade. Dafür findet sie aber keinen Gastgeber – nachvollziehbar, eingedenk des damit verbundenen Aufwands für Vorbereitung und Durchführung. Vielleicht wäre es klüger, sich endlich mehr mit der Nordischen Kombination auseinanderzusetzen. Der droht seit der IOC-Entscheidung des letzten Sommers, die Frauen nicht für die Spiele in Mailand 2026 zuzulassen das Aus. Weil im Zuge der Geschlechtergleichheit spätestens 2030 auch die Wettbewerbe der Männer auf der Kippe stehen würden. Die Verbannung der Kombinierer aus dem Olympischen Programm beträfe eine der wenigen Disziplinen, die seit der Erstauflage der Winterspiele 1924 dabei sind. Leider hatte man im zu Ende gegangenen Winter nicht den Eindruck, dass der Leidensdruck beim Weltverband groß genug sei, um strategische Entscheidungen im Sinne der Nordischen Kombination zu treffen. Die könnten in neue Wettkampf-Formate münden, in Regeländerungen oder einen neuen, attraktiveren Wettkampfkalender. Es gibt also viel zu tun. Und eigentlich hat die Vorbereitung auf den nächsten Skiwinter schon begonnen.

Fotos: K.Voigt Fotografie/Skispringen-news.de

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