Andreas Wellinger hatte es wohl schon geahnt. Als beim Skisprung-Olympiasieger von Pyeongchang Corona diagnostiziert wurde und er – schon auf der Anreise zum Weltcup in Titisee-Neustadt umdrehen musste, um sich in Isolation zu begeben, da schickte der 26jährige noch eine WhatsApp-Botschaft. In der sich Wellinger verbal dazu hinreißen ließ, seine Situation ziemlich unverblümt zu umschreiben. „Scheiß-Coronatest“ fluchte der Mann aus Traunstein, der nach überstandenen Verletzungen in diesem Winter den Anschluss an die erweiterte Weltspitze endlich wieder geschafft hatte, in Kamera und Mikrofon. Verständlich, denn Andreas Wellinger ist schlau genug, um schon unmittelbar nach dem Test zu wissen – für die Olympischen Spiele in Peking kann es so nicht reichen. Das hängt mit den Regeln zusammen, die Gastgeber und IOC für die Einreise nach China aufgestellt haben. Die beiden vor dem Betreten chinesischen Bodens durchgeführten PCR Tests sollten beim Probanden so genannte CT-Werte ergeben, die oberhalb von 40 liegen. Dann steht der Olympiareise nichts im Wege, bei Werten zwischen 30 und 40 dagegen schon. In diesem Falle würde eine internationale Expertenkommission über die Einreisemöglichkeit beraten. Mit einer frischen Infektion jedoch ist es utopisch, an solche Zahlen in den nächsten Tagen auch nur zu denken. Und die Ereignisse in anderen Sportarten haben Beispiele geliefert, dass der Prozess des Nachlassens der Infektionsgefahr ein ziemlich langsamer sein kann. Es gab bei der Handball-EM im deutschen Lager mehrere Spieler, die wiesen auch nach einer Woche Isolation zwar keine Krankheitssymptome mehr auf, aber die CT-Werte lagen nach wie vor im Bereich unter 30 – das ist der, der in den meisten europäischen Ländern als Grenze zwischen ansteckend und nicht mehr belastet gilt. In Asien ist es anders, hier ist die Zahl 40 die Schwelle, das war übrigens auch schon bei der Einreise zu den Sommerspielen in Tokio im Sommer 2021 so.
Dass Andreas Wellinger nach dem ersten Weltcupspringen im Schwarzwald nicht für die DSV-Olympiamannschaft nominiert wurde – „schweren Herzens“, wie Bundestrainer Stefan Horngacher erklärte – war also folgerichtig. Hat aber auch etwas damit zu tun, dass der Athlet in Isolation auch nicht trainieren kann. Somit ist die Form fraglich, selbst wenn Wellinger nach China hinterhergeflogen wäre. Und der Skispringer damit das erste deutsche Corona-Olympia-Opfer. Aber nicht das Einzige. Jetzt reist für die Entscheidungen im Skispringen ein Quintett ins Reich der Mitte, neben den schon nominierten Herren Eisenbichler, Geiger und Leyhe sind auch Oldie Pius Paschke und Youngstar Constantin Schmid in China dabei. Schade nur, dass der DOSB seine Endtermine für die Kaderaufstellung offensichtlich mit der Gießkanne verteilt. Denn die Springer mussten am Samstag, die Biathleten am Mittwoch, andere Sportarten an anderen Wochentagen nominieren. Warum weiß man nicht. Gerade im Biathlon oder beim Skispringen hätte man sich gefreut, das dritte Januarwochenende mit seinen diversen Weltcups noch abwarten zu können. Im Falle von Biathletin Franziska Hildebrand oder bei den Kombinierern, aber eben auch bei den Skispringern hätte das im Zweifelsfall die Entscheidung erleichtert oder klarer dokumentiert. Aber so fiel der Weltcup der Nordischen Kombinierer in Planica wegen der Pandemie ganz aus und deshalb können auch Fabian Rießle und Manuel Faißt von sich behaupten, ein Opfer des Virus zu sein. Olympiasieger Rießle fehlte noch die halbe Olympianorm, die Formkurve des Schwarzwälders zeigte aber nach oben und Faißt hätte mit einer weiteren Top-Platzierung am Triglav ebenfalls noch einmal nachdrücklich auf sich aufmerksam machen können. Und noch ein Olympiasieger wird in China nicht mit von der Partie sein: Severin Freund. Der Mannschafts-Goldmedaillengewinner von Sotschi 2014 war auf bestem Weg, doch es fehlte die halbe Norm und so durfte Trainer Horngacher gar nicht in Erwägung ziehen, Freund in den Kreis der Auserwählten zu berufen. Es fehlten dafür exakt 24 Stunden, denn am zweiten Tag belegte Freund einen Platz unter den besten 15 – hätte so die Norm erfüllt. Ob Horngacher seinen Routinier nach China mitgenommen hätte sei dahingestellt, aber durch die Terminplanung wurde ihm die Chance genommen.
Man sollte der Fairness halber erwähnen, dass Covid 19 hier nur mittelfristig eine Rolle spielte, Freund stieß erst spät ins Weltcupteam vor, hatte somit weniger Gelegenheit, die Norm zu schaffen. Auch bei Carina Vogt, Olympiasiegerin von Sotschi, reichte die Zeit nach einer langen Verletzungsmisere nicht mehr, um rechtzeitig in Peking-Form zu kommen. Mit Rießle, Freund, Wellinger und Vogt wird in Peking also ein Quartett fehlen, dass schon Gold bei den Spielen gewann. Andere werden (hoffentlich) in die Bresche springen. Aber eines gilt für alle, die die Reise ins Reich der Mitte antreten: Corona wird den Spielen in jeder Hinsicht den Stempel aufdrücken, das gilt schon jetzt und das wird auch in Zukunft gelten. Deshalb ist zu befürchten, dass das Virus auch in den kommenden Tagen und Wochen die Schlagzeilen bestimmen wird.
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