Biathlon-Frühling in Nove Mesto – Wachsprobleme oder doch nur Formdellen?
Unter normalen Umständen wirken Nationalmannschaften wie ein monolithischer Block. Zwischen Trainer, Sportlerinnen und Sportler und den gesamten Bereich, der gemeinhin als „staff“ bezeichnet wird, passt im Erfolgsfall kein Blatt Papier. Titelträger und Medaillengewinner lobpreisen die Bedingungen, bedanken sich bei Physiotherapie, Wachsteam, Coach und dem Rest der Mannschaft, gegebenenfalls auch noch bei den Fans für die Unterstützung und oft genug wird auch noch ein Gruß an Heimtrainer, Sponsoren und Familie geschickt.
Gefährlich wird die Sache dann, wenn die Aktiven im Falle des Misserfolgs grußlos an Kameras und Mikrophonen vorbeirauschen. Und ganz besonders schwierig gestaltet sich die Sache, wenn Worte fallen wie: „Das Material war heute nicht perfekt.“ oder „Läuferisch waren andere Nationen heute klar im Vorteil und das lag nicht an der Form.“ Das ist der Moment, in dem im Wachstruck die Alarmanlagen angehen. Denn dann ist was faul im Staate Dänemark – um mit Shakespeare zu sprechen.
In Nove Mesto läuft derzeit die Biathlon-WM und während Frankreichs Frauen um Seriensiegerin Julia Simon und Norwegens Vielzahl an vorn platzierten Männern in der ersten Woche winkten, Kusshände warfen, Familie, Fans und Freunde erwähnten, hatten andere Nationen nicht so viel Glück. Mit dem Material! Deutschland beispielsweise, nach den Vorleistungen im bisher einigermaßen winterlichen Winter hoffnungsfroh nach Tschechien gereist, blieb medaillenlos, lief gnadenlos hinterher. Was zu Frust führte und zu den oben genannten Aussagen.
Aber woran lag es nun wirklich, dass die DSV-Crew in WM-Woche eins nicht auf die Füße kam. Wir sind beim Thema Fluor-Verbot. Der Weltbiathlon-Verband IBU hatte zu Saisonbeginn endgültig Wachse verbannt, die Fluor-Gemische enthielten. Nicht aus Lust und Langeweile, sondern weil damit eine EU-Regelung in die Tat umgesetzt wurde. Bestimmte Fluorverbindungen gelten als umweltschädlich und zudem schwer abbaubar.
Nun mag man über die Sinnhaftigkeit dieser Entscheidung streiten, es gibt natürlich die für den Bann sprechende Gründe, allerdings auch Gegenargumente. Die in den Wachsen enthaltenen Fluorpartikel sind in ihrer Summe nämlich nur ein bestenfalls in Promille zu messender Anteil am insgesamt nach wie vor erlaubten Gebrauch des Elements in verschiedensten Endprodukten. Was an den Eigenschaften liegt. Fluor ist nämlich Wasser und Schmutz abweisend. Funktioniert prima, beispielsweise auf Winterjacken, Arbeitskleidung, Anoraks.
Oder eben auf den Skiern. Besser unter den Skiern. Jahrzehntelang galten Fluor-Wachse als Wundermittel, insbesondere wenn die Loipen nass waren oder sich Schmutz in ihnen gesammelt hatte. Jahrzehntelang hatten Wachsexperten aus allen führenden Skinationen diesbezügliche Erfahrungswerte gesammelt und dokumentiert. Die aber landeten nach dem Ende der Möglichkeiten, mit den entsprechenden Mitteln zu arbeiten, in der Tonne.
Der erste Nicht-Fluor-Wachs-Winter begann in Skandinavien mit winterlichen Bedingungen, schwierig wurde es erst rund um den Jahreswechsel, als man mit dem Biathlon-Zirkus nach Mitteleuropa zog und damit in wärmere Gefilde. Der Weltcup in Oberhof war ein erster Testlauf und jetzt erleben Biathletinnen und Biathleten im 700 Meter hoch gelegenen Ski-Areal von Nove Mesto Wettbewerbe unter frühlingshaften Bedingungen. Die Spur ist klitschnass, Schmutzpartikel werden in die Loipe gespült, aufgetragene Wachsverbindungen nutzen sich schneller ab, als bei Minusgraden.
Betroffen davon sind eigentlich alle teilnehmenden Nationen. Aber es scheint so, als haben Franzosen und Norweger bessere Lösungen anzubieten als Schweden und Deutsche. Die verlieren nämlich in der Loipe wertvolle Sekunden, sind nicht richtig wettbewerbsfähig. Und deshalb sauer.
Dabei jedoch werden zwei Dinge gerne übersehen. Alle reden über das Wachsen, über Schliff und Struktur des Skiuntergrundes dagegen kaum ein Mensch. Dabei ist der Grundschliff, der auf den Ski aufgetragen wird, extrem wichtig für die Wasserverdrängung. Das kann man sich vorstellen wie das Profil eines Autoreifens. Selbst Laien wissen in diesem Fall: In der Formel 1 ziehen die Profis bei Regen die entsprechenden Gummis auf, bei trockener Piste nimmt man dagegen den profillosen Reifen. Skier funktionieren ähnlich.
Und: Egal wie gut man in der Loipe ist, Biathlon besteht aus Laufen UND Schießen – und wenn die Laufleistung nicht stimmt und der Kopf nicht frei ist, wirkt sich das auch auf die Leistung am Schießstand aus. Wie in Nove Mesto zu beobachten war.
Aber wo liegt die Lösung? Das Zauberwort heißt Kommunikation. Erfahrungen eines Rennens unmittelbar nach Wettkampfende im Wachstruck mitzuteilen, könnte bei der Analyse hilfreich sein. Eigene Ideen einzubringen ebenso. Hinzu kommen umfangeiche Test unter Echtzeitbedingungen. Weil eben Vieles neu ist.
Über 200 verschiedene Mischungen sind möglich, die richtige zu finden, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen – eben weil die Erfahrungswerte fehlen. Und weil die Bedingungen so sind, wie sie sind, kommen die Hersteller der Wachsmischungen mit der Produktion entsprechender Gemische im Moment manchmal gar nicht nach – „sold out“ heißt es gegenwärtig auf so manche Nachfrage.
Zu Beginn der zweiten Wettkampfwoche gab es das Einzelrennen der Frauen. Der Sieg ging an die Italienerin Lisa Vittozzi, Silber holte Janina Hettich-Walz aus dem DSV-Team. Vielleicht schon ein erstes Resultat der eifrigen Bemühungen im Wachs-Truck. Vielleicht eine Trotzreaktion. Auf jeden Fall aber ein wichtiger Beitrag zur Reparatur des Gebildes, dass man gemeinhin Mannschaft nennt. Denn nichts schweißt mehr zusammen als Erfolg. Auch ohne Fluor.
Foto: K.Voigt Fotografie