Fluor-Wachs-Verbote werden seit Saisonstart durchgesetzt, Probleme bleiben
Zugegebenermaßen ist das nicht das wörtliche Zitat des großen Gelehrten Paracelsus, aber sinngemäß sagte der Schweizer Arzt, Naturphilosoph, Alchemist und Sozialethiker schon vor einem halben Jahrtausend, dass es die Dosis sei, die das Gift mache.
Merken wir uns das mal an dieser Stelle. Und wenden uns Ragnhild Mowinckel zu. Die Norwegerin ist nämlich die erste Sportlerin, die wegen eines Verstoßes gegen das Fluor-Wachs-Verbot disqualifiziert wurde. Das Ganze geschah beim Weltcup-Auftakt der Alpinen Ende Oktober in Sölden. Zwar wurde der ganze Akt im Anschluss des Wettkampfs abgeschwächt, die schnelle Frau aus Skandinavien darf weiter an den Start gehen. Doch der Ausschluss von Mowinckel zum Saisondebüt war mehr als nur ein formaler Eingriff in den Wettkampf wegen eines Regelverstoßes, sondern der vorläufige Höhepunkt eines Entwicklungsprozesses der letzten Jahre.
Begonnen hatte dieser Prozess in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die großen Materialschlachten waren geschlagen, die Plastik-Skier hatten Holzlatten längst als Fortbewegungsmittel abgelöst. Aber getüftelt und um Vorteile gerungen wurde natürlich weiter. Skier optimal zu präparieren, um ideale Bedingungen zu erreichen, egal ob auf der Piste, der Loipe oder der Schanze war dabei ein wesentlicher Bereich. Die Skiwachsfirmen produzierten diverse Produkte für verschiedenste Bedingungen. Wachse mit Fluor-Verbindungen gehörten dazu. Jahrelang scherte sich kein Mensch um Nebenwirkungen. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends – die Forschung war inzwischen weiter – stellte man fest, dass unter anderem auch das Gemisch aus Fluor und Kohlenstoff durchaus krebserregend sein könnte. In den Wachskabinen wurde fortan mit Maske präpariert, denn gewachst wird im Profibereich nur selten durch einfaches Aufschmieren, viel häufiger wird das Wachs auf die Skiunterlage aufgebügelt. Die dabei entstehenden Gase, wollte verständlicherweise kein Techniker mehr einatmen. So weit, so gut!
Nun aber steht seit Jahren die Umwelt immer mehr im Fokus des öffentlichen Interesses und Fluor im Mittelpunkt der Kritik. Weil der Stoff als Wachsgemisch nicht nur giftig, sondern in der Natur auch schwer abbaubar ist.
Es war aber nicht der Sport, der die Europäische Union dazu veranlasste, Fluor-Kohlenstoff-Verbindungen auf den Index zu setzen. In der Folge dieser Entscheidung aber bekam der Skisport ein Problem. Denn Fluor-Wachse sind beliebt, sie weisen Wasser ideal ab, damit bremst der Ski weniger, man wird schneller – und das disziplinübergreifend. Was folgte war ein Verbot. Mit den entsprechenden Effekten. Denn das beste Verbot nützt nichts, wenn man es nicht durchsetzen kann. Das aber war nicht möglich, es fehlte das Equipment. Folglich blieb erst einmal alles beim Alten. Im Gegenteil. Vertreter von Wachsherstellern berichteten von Hamsterkäufen, die Produktion stieg.
Ausgeschlossen wurden zunächst trotzdem schon die Fluorwachse der Klasse C10 und C8 – die effizientesten, aber auch giftigsten Produkte. Zur Erklärung: Man spricht von drei Fluor-Wachs-Kategorien, C8 galt als Wundermittel, die Variante C10 brachte – das ergaben Messungen – deutlich langsamere Resultate. Weil alles getestet und geprüft wurde, verrieten Insider, dass zwischen C8 und C10 eine Differenz von 2,5 Sekunden pro Minute liegen würden, das sind Welten, wenn man beachtet, dass ein 10 Kilometer-Langlauf rund 24 Minuten dauert. Mit dem „falschen“ Wachs käme man bei gleicher Leistung also exakt eine Minute später ins Ziel und wäre bei den letzten Großereignissen so bestenfalls gerade mal in den Top-Ten gelandet. C8 also betraf fast alle Spitzensportlerinnen und Spitzensportler aller Nationen. Die Variante C6 zeigte zwar ähnliche Resultate, hielt aber nicht so lange auf den Skiern.
So verging ein Jahr, auch ein zweites. Aber natürlich waren die Weltverbände interessiert, die Verbote auch durchzusetzen. Diverse Firmen beschäftigten sich mit der Entwicklung von Test- und Messgeräten. Derweil versuchten Tüftler, Fachleute und Firmen Ersatz für das absehbar verbotene Produkt herzustellen, dem Vernehmen nach nur mit mäßigem Erfolg. Die Angelegenheit spitzte sich zu.
Im Sommer nun der Showdown: Die Weltverbände FIS (Skisport) und IBU (Biathlon) gaben bekannt, Fluorwachse ab sofort nicht mehr zuzulassen und kündigten ein Kontrollsystem an. Mehrere Winter hatte man Geräte getestet und ein Messgerät auf Basis der Infrarot-Spektroskopie als tauglich bewertet.
Spätestens jetzt brach überall hektische Betriebsamkeit aus. Denn man musste nun nicht nur nach Wachs-Alternativen suchen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass keine Restbestände mehr – unabsichtlich – zu Disqualifikationen führen würden. Für die Ski-Nationen, die man gemeinhin als die „Großen“ beschreibt, Norwegen, Schweden, Österreich, Frankreich, die Schweiz oder Deutschland beispielsweise, hieß es Materialwechsel und Saubermachen. Deren Wachs-Trucks wurden im Sommer einer Generalreinigung unterzogen, zweihundert Stunden sollen allein die Techniker der Deutschen Langlaufmannschaft als Putzkolonne im Sommer in ihrem Wagen zugebracht haben. Neben Skiern wurden auch Bürsten, Schleifmaschinen und diverses weiteres Equipment entsorgt. Selbst die Flächen der Bügeleisen sollen abgeschliffen worden sein. Andere – vermeintlich kleinere – Skinationen hatten diese Möglichkeiten nicht, hier wurde gereinigt, Belag abgeschliffen, Material gründlich gesäubert.
Und weil man hier und da eben doch mal nicht an alle Details dachte, sind wir an dieser Stelle wieder bei Ragnhild Mowinckel. Deren Techniker bekannte, die Ski-Präparation mit einer alten Bürste vorgenommen zu haben, die Bretter der Norwegerin waren anschließend konterminiert und fielen auf.
Inzwischen läuft die erste Fluor-Wachs-freie Skisaison in allen Sparten. Von Verstößen in den einzelnen Weltcup-Wettbewerben war bisher (fast) nichts zu vernehmen. Alles gut also?
Die Sachen hat ein paar Haken! Ein Messgerät kostet schlappe 30.000 Euro. Oder anders: Viele Nationen können sich derart teure Ausrüstungen gar nicht leisten. Müssen sie auch nicht! – könnte man entgegenhalten, wer nicht mit Fluor wachst, der braucht gar nicht erst messen.
Noch fanden wie Wettkämpfe bei Temperaturen deutlich unter Null statt. Fluor-Wachse entfalten ihre Wirksamkeit aber dann besonders gut, wenn die Spuren nass sind, also bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt. Experten, wie Deutschlands Sportchef für Skispringen und Nordische Kombination, Horst Hüttel, rechnen deshalb damit, dass erst zum Ende des Winters größere Unterschiede auftreten werden.
Das größte Problem aber bleibt der Fakt, dass die Durchsetzbarkeit der Verbote eben nur im Weltcup zu realisieren ist. Wer bitte sollte im Schülercup, beim Wasa-Lauf oder bei Volksläufen kontrollieren? Wer den ambitionierten Freizeitläufer? Das aber konterkariert das Bemühen, vor allem das um Umweltschutz. Und ganz nebenbei: Glaubt man den Experten, dann findet man in jeder imprägnierten und damit Wasser abweisenden Jacke ein Vielfaches von dem, was bisher auf den Ski gedampft wurde. Ganz abgesehen davon, dass die nun eingesetzten Mittel oft deutlich schädlicher sind – steht zumindest auf der Verpackung. Wie gesagt: Die Dosis machts.
Fotos: K.Voigt Fotografie