Nach einigen Pleiten kommen die Skandinavier in China in Schwung
Den Dienstag werden sie sich merken in Norwegen. Als den Tag, an dem der Knopf endgültig aufging. Denn jetzt stehen die Skandinavier in der Medaillenwertung endgültig dort, wo sie sich selbst nicht nur am liebsten sehen, sondern vor allem auch erwarten: An der Spitze.
An den Tagen zuvor hatten sie schon leichte Zweifel, im hohen Norden Europas. Nicht etwa, dass die Sportler nicht lieferten, Norwegen als Heimat des Wintersports agierte breit aufgestellt immens erfolgreich. Nur war die Erwartungshaltung eben eine andere. Deshalb zählen eigentlich nur Siege und wenn im Mutterland des Skilanglaufs Russen beide Staffeln gewinnen, Schwedinnen im Sprint und ein Finne den 15-Kilometer-Klassiker, wenn Superstar Johannes Hoesflot Klaebo im Doppelverfolger unter ferner liefen einkommt und das Mixed-Team beim Skispringen disqualifiziert wird, dann raucht es zwischen Nordkap und Bergen. Die Boulevardzeitung Verdens Gang (VG) schäumte, auch Klaebos Sprint-Sieg schaffte da bestenfalls eine Atempause.
Da war es fast ein Segen, dass mit Marius Lindvik zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein Norweger von der Großschanze Erfolg hatte. Das kaschierte auch die als Makel empfundenen Medaillen bei den Biathleten.
Dann aber kam der Dienstag. Und in Anlehnung an die im norwegischen Staatsfernsehen als „Super-Lördag“ ausgestrahlte lange Sportsendung an jedem Wintersport-Samstag darf dieser Tag durchaus als „Super-Tirsdag“, als Super-Dienstag bezeichnet werden. Ganz nach dem Motto: Wenn es läuft, dann läuft es!
Es ging schon gut los, Birk Ruud siegte, auch Silber gab es für Moos Roiseland im Snowpark und die Curler behielten gegen die Russen mit 12:5 die Nase vorn. Aber: Für die Wintersport-affinen Nordmannen sind solche Siege eher Beiwerk, Kompott, vor allem an Tagen, an denen die Lieblinge der Nation den Wettkampf aufnehmen. Die Lieblinge, das sind Langläufer, Skispringer, Kombinierer und Biathleten. Das zwingt die Skandinavier für die Fernsehgeräte, fegt die Straßen leer. Selbst an Vormittagen. Und die Fans trauten ihren Augen nicht, denn als die Staffel der Skischützen den Wettbewerb aufgenommen hatten, lagen die eigenen Lieblinge deutlich zurück. Aber das Biathlon-Quartett – bestehend aus vier Ausnahmekönnern – kämpfte sich Richtung Medaillen nach vorn und als der letzte Schütze der Russen am Ende zwei Mal in die Strafrunde musste und die Tür zu Gold sich noch einmal einen Spalt weit öffnete, da schritten die Norweger hindurch und jubelten über den Olympiasieg. Dieser Erfolg an sich wäre schön gewesen, aber hätte noch nicht zum „Super-Tirsdag“ gereicht. Dazu fehlte noch die entscheidende Zutat: Die Nordische Kombination. Und hier schien es so, als solle die Übung von Beginn an zur Zufriedenheit laufen. Überflieger Jarl Magnus Riiber segelte der Konkurrenz meterweit davon, sein Vorsprung vor dem 10-Kilometer-Lauf betrug stolze 44 Sekunden auf den Zweiten. Was also sollte da noch schiefgehen? Alles! Riiber startete wie die Feuerwehr, doch als er zum ersten Mal ins Stadion kam, verlief er sich, musste umkehren, der Vorsprung war dahin. Allerdings konnte Riiber, gerade frisch entlassen aus einer Corona-Quarantäne, das Tempo der Spitze mitgehen. Glaubten alle. Bis zu Kilometer 8, da war es vorbei, der Tank beim Kombinierer-König leer, Riiber fiel zurück, es sah nach einer Entscheidung ohne die Skandinavier aus, vorn agierte ein Trio mit einem Japaner, einem Deutschen und einem Österreicher.
Aber weil es der Tag Norwegens sein sollte, kam doch noch alles anders. Ein wie entfesselt durch die Loipe fegender Olympiasieger Vinzenz Geiger wollte nach vorn, in seinem Schlepptau die Herren Graabak und Oftebru, beide aus Norwegen. Und als es in die Nähe des Stadions ging, da gaben die beiden Fersengeld, holten die inzwischen zu zweit an der Spitze ackernden Manuel Faist und Akido Watabe ein und feierten einen Doppelsieg. Und den perfekten Tag für das Mutterland des Skisports. Job erfüllt, Gold geholt, Kritiker beruhigt. Sie läuft wieder, die Operation „GULL“, das muss man nicht übersetzen. 12x gab es die Hymne bisher zu hören, gut möglich, dass der Zustand bis zum Ende der Spiele anhält.
Foto: K.Voigt Fotografie