Tanz auf der Rasierklinge bestanden
Nichts Genaues wusste man nicht, abgesehen davon, dass das Risiko ebenso hoch war wie die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Begonnen hat man dennoch. Und darf nach Abschluss der Saison zufrieden resümieren – der Tanz auf der Rasierklinge ist gelungen.
Sport-Großveranstaltungen unter Pandemie-Bedingungen sind irgendwie sonderbar: Keine Fans, dafür Corona-Tests von früh bis spät, besondere Vorsichtsmaßregeln, Kontaktarmut, so genannte „bubbles“, Änderungen im Fahrplan – das alles war notwendig, um im zu Ende gehenden Winter den Biathlon-Betrieb auf Top-Niveau aufrecht zu erhalten. Der Weltverband IBU ist dieses Risiko bewusst eingegangen, denn die Alternative wäre ein völliger Ausfall der Saison gewesen, mit unabsehbaren Folgen für die Sportart.
Jetzt, da die Weltcup-Serie vorbei ist und auch die WM auf der Pokljuka längst Geschichte, darf man konstatieren – das Risiko hat sich gelohnt. Die Millionen Menschen, die Winter für Winter das Geschehen in der Loipe und an den Schießständen an den Fernsehern verfolgen, sind auch 2020/21 voll auf ihre Kosten gekommen. Die Sportart hat ihren Spitzenplatz in der Zuschauergunst verteidigt. Das allein ist ein großer Erfolg. Zu dem man allen Beteiligten, von der IBU bis zum letzten freiwilligen Helfer vor Ort nur gratulieren kann. Für den allerdings alle Beteiligten einen hohen Preis gezahlt haben, der aber dennoch ohne echte Alternative war. Denn wirtschaftlich kann sich der Winter für den Weltverband nicht gerechnet haben, hat die IBU ihren Veranstaltern doch finanziell unter die Arme gegriffen, um die Durchführung von Wettkämpfen ohne Zuschauer nicht zum ökonomischen Desaster werden zu lassen. So konnte man die immensen Mehrkosten durch die aufwändigen Testreihen abfedern, auch die neuen Vorschriften in Bezug auf Unterbringung, Verpflegung und Transport. Natürlich gab es nicht nur Sieger, einige der traditionellen Standorte gingen in diesem Winter leer aus und anderswo, beispielsweise in Norwegen, war es wegen der dort geltenden gesetzlichen Bestimmungen gar nicht möglich, an die Durchführung von internationalen Sportveranstaltungen auch nur zu denken. Aber in Summe ist die Sportart grundsätzlich gut durch den Corona-Winter gekommen und nun darf man hoffen, dass der Spuk ein Ende hat, wenn im November der Olympiawinter beginnt. Denn trotz aller Erfolge und Bemühungen – ein Dauerzustand darf der aktuelle Zustand nicht werden, das wäre nämlich weder sportlich noch wirtschaftlich darstellbar.
Sportlich dagegen war die vorolympische Saison eine, die die Dominanz Norwegens im Weltcup noch einmal untermalte. Und bei der auffiel, dass Nationen, deren Athletinnen und Athleten bisher nicht unbedingt im Fokus des Interesses standen, aufgeholt haben. Das ist schlecht für die bisher an der Spitze etablierten Länder aber gut für den Sport als Ganzes. Wenngleich auch hier eine Bewertung die besonderen Umstände einbeziehen sollte. Denn nicht nur der Winter ging anders als gewohnt über die Bühne, das gesamte Jahr 2020 war gekennzeichnet von Verboten, Einschränkungen und besonderen Bedingungen. Das schlug sich notwendigerweise auf die Saisonvorbereitungen nieder, wenn auch unterschiedlich stark und von Nation zu Nation verschieden.
Nun ist die Saison vorbei und nach den Analysen wird man mit Blick auf Peking natürlich darüber nachdenken, eroberte Positionen zu verteidigen oder verloren gegangenen Boden neu zu erobern. Sicher ist – auch der Frühsommer und möglicherweise noch ein paar Monate mehr wird COVID 19 das Leben – und damit auch den Sport – weiter bestimmen. Ob und wie sich das auf die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele auswirkt, bleibt abzuwarten. Die Hoffnung aber, das die Saison 2021/22 eine wird, die von den Bedingungen her wieder unter dem Preisschild „normal“ firmiert, die besteht. Sportlich dagegen darf man einen Winter Marke „ungewöhnlich“ voraussagen, schließlich ist die nächste Saison eine olympische.
Foto: K.Voigt Fotografie