Marte, Marte, Du entschwandest…

Woran Dorothea Wierer, die Doppelweltmeisterin von Antholz gedacht hat, als sie in der Schlussrunde des Massenstarts Marte Olsbu Roiseland an sich vorbeiziehen lassen musste, ist nicht überliefert. Aber hätte der Stadion-DJ aufgepasst, dann hätte er auf einen Klassiker zurückgreifen können: Friedrich von Flotows Oper „Martha“ mit dem inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Liedtext „Martha, Martha, Du entschwandest…“.

Der Sturmlauf der Norwegerin im Massenstartrennen war das „Tüpfelchen auf dem I“, krönte eine Vorstellung, die es so bei Welttitelkämpfen im Biathlon noch nicht gegeben hat. Obwohl man ja glaubt, schon alles erlebt zu haben zu Zeiten eines Ole Einar Björndalen oder einer Magdalena Forsberg, einer Magdalena Neuner und zuletzt Helden wie Johannes Thingnes Boe, Martin Fourcade und last but eben doch nicht least einer Laura Dahlmeier. Die gewann 2017 in Hochfilzen fünf Goldene, dazu Silber im Sprint. Unerreicht – nicht zu toppen. Glaubte man. Drei Jahre später liest sich die Bilanz der Norwegerin so:  Fünf Goldmedaillen, dazu zwei Mal Bronze, also noch eine Plakette mehr – was natürlich auch dadurch möglich wurde, dass die Single-Mixed-Staffel 2017 noch nicht in das WM-Programm  aufgenommen worden war. Aber die 29-jährige Ausnahmeathletin aus dem Städtchen Arendal ganz im Süden Norwegens nutzte eben alle sich bietenden Chancen. Und wieder werden die Chronisten schreiben, diese Leistung sei nicht mehr zu überbieten – bis irgendwann jemand kommt und noch erfolgreicher ist…

 

Was die Leistung von Marte Olsbu Roiseland aber überhaupt nicht schmälert. Denn es war ein lang geplanter Erfolg, wenngleich in dieser Form nicht erwartet. Auch von ihr selbst nicht. Als Norwegens A-Team im Herbst, damals noch auf Rollerski, das erste scharfe Trainingslager in der Höhe von Antholz absolvierte, da hatte die Norwegerin erklärt, der Weltcup sei ihr einigermaßen schnuppe, ihr Focus läge voll und ganz auf der WM. Erstaunlich für eine Frau, die in die Vorsaison als Vierte der Gesamtwertung beendet hatte, zudem schon vier WM-Titel sammeln konnte. Doch die spätere Dominatorin hielt an den selbst gesetzten Vorgaben fest und feierte damit den großen Erfolg. Wenngleich sie im Herbst die Ziele viel niedriger angesetzt hatte, mit einer Medaille liebäugelte. Nun wurden es Sieben. Und die sind gleichbedeutend mit dem Einzug in die hall of fame des Biathlon. Denn blickt man auf die Ahnenreihe der ganz Großen dieser Sportart, fehlt auch hier nicht mehr viel bis zur Spitze. Dort thront zugegebenermaßen nach wie vor Ole Einar Björndalen mit seinen 20 WM-Titeln. Aber bis zu ihrem Landsmann Emil Hegle Svendsen mit seinen 12 Goldmedaillen ist es nicht mehr so weit und auch nicht bis zur Rekordhalterin bei den Frauen, Magdalena Neuner, die 12 Mal ganz oben stehen durfte. Die Russin Jelena Golowina, die in den Anfangszeiten des Frauen-Biathlon zehn WM-Titel sammelte, könnte schon im nächsten Winter überflügelt werden und um die Leistung der Norwegerin richtig einzuordnen: Frank Ullrich und Ricco Groß, beides Superstars im Biathlon, schafften wie Olsbu Roiseland 9 Plätze an der Sonne.

 

Das alles wird Marte Olsbu Roiseland ziemlich egal sein. Statistiken scheinen die Überfliegerin der Tage von Antholz ebenso nicht zu interessieren, wie der Druck, als Favoritin in ein Rennen gehen zu müssen oder ein paar Fehler zu Beginn des Wettkampfs. Die hatte sie nämlich auch im Massenstartrennen von Antholz produziert und lag nach dem ersten Schießen auf Platz 21 – eigentlich aussichtslos im Kampf um Gold. Was aber nicht für eine Marte in Top-Form galt. Für die galt: Volle Fahrt voraus! Und für den Rest der Konkurrenz: Marte, Marte, du entschwandest. Doro Wierer war die letzte, die das auf der Schlussrunde kurz vor dem Eingang zum Stadion anerkennen musste.

Fotos: K. Voigt Fotografie

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