Alles auf Anfang zur 69. Auflage der Vierschanzentournee

Eigentlich haben sie in Oberstdorf in Sachen Skispringen alles erlebt. Das begann schon, als die Tournee noch in den Kinderschuhen steckte. Denn im ersten Jahr – die Erinnerung daran ist längst verblasst – da begann das Spektakel rund um den Jahreswechsel gerade nicht im Allgäu, sondern in Partenkirchen. Erst dann ging es auf die Schattenbergschanze, es folgten Innsbruck und Bischofshofen. Ab der zweiten Tournee wurde dann in der Reihenfolge gesprungen, die wir bis heute kennen. Oberstdorf war also 1953 gleich 2x Tourneeort – auch so ein Novum. Und im Dezember 1953, da sollte wegen des akuten Schneemangels gar nicht gesprungen werden, aber weil man das zu spät kommunizierte, reiste der Springerzirkus dennoch an und wie auf Bestellung hatte Frau Holle ein Einsehen, es schneite nach Weihnachten unaufhörlich und am Silvestertag konnte der Wettkampf doch noch stattfinden. Schnee zu beschaffen ist im 21. Jahrhundert natürlich kein Problem mehr. Aber die Saison 2020/21 stellt Herausforderungen, die es so noch nie gegeben hat in der ruhmreichen Tourneegeschichte. Denn zum ersten Mal in 69 Jahren steckt die Vierschanzentournee in der Blase, zum ersten Mal werden keine Zuschauer an die Schattenbergschanze pilgern, wird das Neujahrspringen ohne Publikum stattfinden, das Amphitheater am Bergisel keine Länderspielatmosphäre versprühen und das Dreikönigsspringen in Bischofshofen nicht zur Party der Österreicher werden. Weil ein Virus grassiert. Weil deshalb neben den ohnehin aufwändigen organisatorischen Notwendigkeiten nun auch noch jede Menge Hygieneregeln zu beachten sind. Weil neue Hotel- und Transportkonzepte aufgestellt und umgesetzt werden mussten, weil Erfordernisse des Sports mit denen der Gesundheitsämter und Behörden in Bayern, Tirol und Salzburg, in Deutschland und Österreich in Einklang gebracht werden müssen. Eine Mammut-Aufgabe! Und auch die sportliche Substanz ist vom Virus berührt. Beispiel Österreich: Die Co-Gastgeber der Tournee gehörten zu den arg gebeutelten Nationen im Skisprungzirkus, der Weltcup war aus Sicht der rot-weiß-roten Adler bisher eine Farce, die Skiflug-WM eine zum Vergessen, Superstar Stefan Kraft beispielsweise geht ohne jeden Weltcuppunkt ins Rennen. Und zählt dennoch zu den Tourneefavoriten. Denn auch das ist klar: Aufgrund der Lage kann man viele Springer nennen, die die Tournee in ihrer 69. Auflage zu ihren Gunsten entscheiden können. Da hätten wir an erster Stelle natürlich Norwegens derzeitiger Überflieger Halvor Egner Granerud, der das erste Trimester des Winters dominierte. Da wären Kamil Stoch und Vorjahressieger Dawid Kubacki aus Polen zu nennen, eigentlich! Denn auch die polnischen Springer müssen eine Pandemie-Pleite hinnehmen. Auf Grund eines positiven Ergebnisses innerhalb der Mannschaft, wurden alle polnischen Adler von den Behörden in Oberstdorf in Quarantäne verwiesen. Aber dann sind da ja noch Graneruds Landsmann Robert Johansson, der Slowene Anze Lanisek, die Japaner und natürlich auch die DSV-Adler, allen voran Markus Eisenbichler, die alle vorne mitmischen möchten. Die Deutschen haben eine Rechnung offen, mit den Springen rund um den Jahreswechsel. Denn ihr letzter Tourneesieg liegt inzwischen fast zwei Jahrzehnte zurück, es war der legendäre Grand Slam von Sven Hannawald aus dem Winter 2001/02. Und weil so vieles neu ist bei der 69. Auflage, da darf natürlich auch bei Gastgeber DSV etwas Neues nicht fehlen, denn zum ersten Mal in der Tourneegeschichte gibt es im Kader eine noch nicht zu kalkulierende Größe. Ausgerechnet Skiflugweltmeister Karl Geiger sitzt in Sachen Tourneestart zwischen den Stühlen. Und auch das hat wieder mit COVID 19 zu tun. Geiger wurde kurz nach Ende der Skiflug-WM positiv getestet, musste in Quarantäne und verpasste den Weltcup in Engelberg. Eine ordentliche Vorbereitung auf die Tournee war nicht möglich, auch keine normalen Weihnachtsfeiertage in der Familie. Ob es für Geiger zum Tourneestart in Oberstdorf reichen wird, muss deshalb kurzfristig entscheiden werden, ob der Oberstdorfer schon wieder in Form ist ebenso. Klar ist – und wenigstens in diesem Punkt unterscheidet sich die 69. Tournee nicht wesentlich von ihren Vorgängerinnen – vor dem Start gibt es wieder viel mehr Fragen als Antworten.

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