Kult-Veranstaltungen auch ohne Fans
In Seefeld haben sie schon alles erlebt – und das Gegenteil von allem. Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Doping-Razzien, Fönstürme, Nebel, Windlotterien. Aber weil es immer wieder etwas Neues gibt, gab es diesmal ein Triple in der Nordischen Kombination ohne Zuschauer.
Was dem Wettkampf keinen Abbruch tat. Denn die Stars der Szene, für die nach eigener Aussage die drei Tage in Tirol ein ultimativer Saisonhöhepunkt sind, machten es wieder einmal spannend. Weil der nach dem Springen am Schlusstag eigentlich klar führende Norweger Jarl Magnus Riiber seine Konkurrenten aufschließen lassen musste. Zwar siegte der Kombinationskönig der letzten Winter im Schlussspurt, aber der starke Finne Ilkka Herola sorgte beim Lauf über den langen Kanten von 15 km für Spannung, wurde starker Zweiter. Fast unbemerkt davon aber machten zwei „ältere Herren“ mächtig Dampf. Akito Watabe, Japans Vorzeige-Winterzweikämpfer, kam nämlich auf einen glänzenden dritten Rang im Gesamtklassement, hinter ihm wurde der Oberwiesenthaler Eric Frenzel Vierter. Zählt man die Häupter der Gesamtsieger mal zusammen, dann rangierten mit Riiber, Frenzel und Watabe drei Herren auf den ersten vier Plätzen, die gemeinsam auf sieben „Triple-Siege“ verweisen können. Und Akito Watabe wird möglicherweise sogar ganz froh darüber gewesen sein, dass er Dritter wurde und nicht schon wieder Zweiter. Auf diesen Platz hat der 32jährige aus dem 1998er Olympiaort Hakuba nämlich fast ein Abonnement, 28x stand er bisher im Weltcup als Zweitplatzierter auf dem Stockerl. Sportlich war Seefeld also auch in diesem Winter wieder ein ein voller Erfolg. Was man in Tirol aber mit Schrecken feststellen konnte – hustete der italienische Betreuer im Wald, nieste sein Kollege aus Slowenien oder räusperte sich der russische Trainer – die ganze Welt hörte via Fernseher zu.
In Willingen dagegen pfiff der Wind durch die Schonung. Und verblies die Nebengeräusche. Allerdings – der oft gezeigte Rundblick von der Mühlenkopfschanze in und über das Strycktal im nordhessischen Upland war auch ein trister. Dort, wo sich normalerweise Menschenmassen drängen, herrschte gähnende Leere, nur ein paar freiwillige Helfer in ihren orangen Anoraks huschten hier und da durch die menschenleere Arena. Willingen ist für die Springer das, was Seefeld für die Kombinierer darstellt: Ein Wettkampf mit Kultcharakter. Und auch ohne Publikum boten die Stars der Szene den Fans vor den Fernsehschirmen jede Menge Action. Einen Durchgang am Sonntag, der fast zwei Stunden dauerte – das gab es bisher eher selten. Einen Sprung auf 153 Meter, wie am Freitag von Klemens Muranka aus Polen ins Tal gezaubert, noch nie, denn diese Weite ist nun der aktuelle Schanzenrekord. Kurios dabei: Der Finne Janne Ahonen war 2005 schon mal auf handvermessene 155,5 Meter gesegelt, da aber damals in diesem Bereich keine Video-Weitenmessung vorgesehen war, wurde der Satz anschließend auf 152 Meter korrigiert. Wie auch immer: Der Weltcup im Sauerland wurde seinem Ruf als Kult-Stätte des Skizirkus selbst unter erschwerten Bedingungen gerecht, Halvor Egner Graneruds fantastischer Finalsatz zum Triumph war der Punkt aufs „i“. Jetzt folgt für Springer und Kombinierer noch der Ausflug nach Klingenthal – normalerweise ein ähnlich stimmungsvoller Ort wie Seefeld und Willingen. In diesem Jahr aber leider auch ohne Publikum. Was die Sehnsucht allmählich immer stärker werden lässt, die Sehnsucht nach Normalität, auch im Sport.
Foto: EXPA Pictures / Tadeusz Mieczynski