Pokern auf dem Trainerturm

Alexander Stöckl führt Norweger mit cleverer Taktik zum Skiflug-WM-Titel

Es gibt bisher nur zwei Nationen, die sich den seit 2004 ausgeflogenen Titel des Mannschafts-Skiflug-Weltmeisters sichern konnten. Österreichs Adler standen schon ganz oben, das eigentliche Abonnement auf den Titel haben allerdings die Norweger gepachtet. Aber 2020 ist bekanntlich alles anders, statt im März gab es die Welttitelkämpfe im Fliegen erst im Dezember und vor dem letzten Sprung im WM-Teamwettbewerb führten diesmal nicht die Skandinavier, sondern das deutsche Team. Auch deshalb, weil der Trainer der DSV-Adler, Stefan Horngacher, im Finale des ersten Durchgangs vor dem Flug von Einzelweltmeister Karl Geiger den Anlauf mit Absicht verkürzt hatte. Geiger flog weit, sein direkter Konkurrent, Vizeweltmeister Halvor Egner Granerud konnte nicht mehr kontern – das DSV-Quartett segelte bei Halbzeit auf Platz eins, auch dank des Pokertricks des Trainers aus Österreich in deutschen Diensten.

Im Finale herrschten andere Vorzeichen. Nun war Norwegen – wieder mit Granerud – vor den Deutschen an der Reihe und diesmal griff deren Trainer, Alexander Stöckl, in die Skiflug-Poker-Trickkiste. Stöckl, ebenfalls Österreicher, verkürzte um gleich zwei Luken, darauf vertrauend, dass sein Adler trotz des verkürzten Anlaufs weit segeln würde. Der 24jährige aus Oslo tat genau das – 234,5 Meter wurden für ihn vermessen und nun lag der Druck auf Deutschland. Trainer Horngacher – wie Stöckl einst für Österreich als Springer auf den Schanzen aktiv – konterte, allerdings überforderte er damit wohl die Verantwortlichen auf dem Schanzenturm. Die hatten den Anlauf von Luke 10 zunächst wieder auf Luke 12 gestellt, dann auf Luke 11 heruntergefahren und anschließend doch wieder auf das Maß gestellt, von dem auch Granerud abgefahren war – Luke 10. Karl Geiger schien davon ein wenig irritiert, nach seinem Flug auf 224,5 Meter erklärte er den Kollegen, die den Oberstdorfer im Auslauf erwartet hatten, auf dem Turm habe ein ziemliches Durcheinander geherrscht. Was Geiger da schon ahnte – sein durchaus gelungener Flug reichte nicht zum Titel. Den holten sich – wieder einmal – die Norweger. Was aber überraschte, war der Punkteabstand, mit dem die Skandinavier aufs oberste Treppchen sprangen. Aus 11 Punkten Rückstand vor dem letzten Springer waren stolze 19 Zähler Vorsprung geworden. Aber auch dafür gibt es eine logische Erklärung und die liegt im so genannten Bonussystem. Verkürzt ein Trainer absichtlich den Anlauf, erhält sein Springer für die geringere Anfahrt nämlich nur dann Extra-Punkte, wenn er anschließend auf mindesten 95 Prozent der so genannten „Hillsize-Weite“ kommt und die beträgt in Planica 240 Meter. Folglich hätte Geiger 228 Meter springen müssen, das tat er aber nicht und so machte Granerud auf den Deutschen – wegen der Verkürzung um zwei Luken, für die es jeweils 8,5 Zähler gab, allein durch diesen Faktor 17 Punkte gut. Während die Norweger im Auslauf jubelten, feierte Trainer Stöckl auf seine Art: Vornübergebeugt, den Kopf auf die Hände gestützt, holte der Tiroler zwei Tage nach seinem 47. Geburtstag nur ganz tief Luft. Denn sein Pokertrick auf dem Trainerturm hatte dafür gesorgt, dass es weiterhin bei zwei Nationen bleibt, die mit der Mannschaft Skiflug-Weltmeister werden können. Sein Heimatland Österreich schaffte das drei Mal und eben Norwegen, das sich in Planica den fünften Titel sicherte, den dritten in Folge.

 

Foto: jfkfeichter – Expapictures

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