Wirklich nur flüstern diesmal. Kein lautes Wort. Bitte. Denn es ist schlimm, richtig schlimm. Und traurig und dramatisch. Ein sportliches Schicksal, wie es ab zu mal vorkommt. Eines, dass man aber niemandem wünscht, weil es im ärgsten Fall gar eine Karriere zerstören kann. Der Sachverhalt klingt zunächst eher nüchtern. Lisa-Theresa Hauser aus Österreich zielte im Sprint auf die falschen Scheiben. “Crossfire” nennt sich das im Fachjargon. Sie hatte auf dem Schießstand 29 Platz genommen und räumte auf 30 alles ab. Perfekt. Das war keine Überraschung, denn Hauser gehört im Umgang mit dem Kleinkalibergewehr im Biathlon zu den besten Athletinnen. In schnellem Rhythmus traf sie ins Schwarze. Traumhaft. Dann drehte sie sich um und ihr Gesicht erstarrte zu einer Maske. Sie bedeckte mit einer Hand ihr Gesicht und in diesem Moment wurde ihr zumindest ein Teil der Tragweite dieses Fehlers bewusst. Lisa-Theresa Hauser hatte die größte Chance ihres Lebens durch diese Unachtsamkeit vergeben. Liegend hatte sie schon alle fünf Scheiben getroffen und nun stehend auch. Nur eben auf den Scheiben daneben. Das Urteil ist vernichtend. Fünf Fehler. Fünf Strafrunden. Und diese sind in Östersund bei der Weltmeisterschaft auch noch zwei Sekunden länger als normal. Man benötigt ungefähr 24 Sekunden für eine Runde. In diesem Augenblick brach für die Tirolerin die Biathlonwelt zusammen. Sie lief die Strafrunden und auch das Rennen zu Ende. Mit hochrotem Kopf und tränenüberströmt. Die Arbeit eines ganzen Jahres zerfiel in winzig kleine Einzelteile. Nichts mehr war und ist jetzt so wie früher, denn die Auswirkungen beschränken sich eben nicht nur auf dieses eine Rennen, auf den Sprint bei der WM, sondern lösen eine Kettenreaktion aus, die kaum zu verkraften ist. Zunächst verfehlte sie als 70. die Teilnahme am Verfolger. Das ist in ihrem Fall deshalb so fatal, weil ihr damit auch die Möglichkeit genommen wird, weitere Punkte für die Weltcupwertung zu holen. Sie lag vor dem Sprint auf dem 15. Platz. Genau 15 Biathletinnen haben ein fixes Startrecht bei der WM im Massenstart. Jetzt liegt sie auf Rang 16 und müsste im Einzelrennen, das hier in Österreich läuferisch höchste Anforderungen stellt, in etwa den fünften Platz erreichen, um doch noch die Qualifikation zu schaffen. Realistisch betrachtet ist dies kaum möglich. Und es geht noch weiter. Die Hochrechnungen ergaben bei Hauser, dass sie bei korrektem Schießen auf der Bahn 29 am Ende wohl Fünfte geworden wäre. Und sie hätte damit eine famose Ausgangsposition für den Verfolger besessen, bei dem viermal geschossen werden muss. Sie hätte ihre Stärken ausspielen können und wer weiß: Vielleicht, vielleicht…. vorbei. Aus dem kleinen Medaillentraum ist ein Albtraum geworden, der nicht von heute auf morgen aufhören wird. Ein solches Dilemma brennt sich ein in die Seele eines Sportlers. Der Turner, der am Reck nach einem Flugteil den Griff an die Stange verpasst, der Bobfahrer, der eine Kurve zu früh oder zu spät ansteuert und seinen Schlitten ins Schlingern bringt, der Kanute, der sich eine Krebs einfängt, also ins Leere paddelt, der Fußballspieler, der einen Elfmeter verschießt. Beliebig könnte man die Reihe fortsetzen.
Es ist die Kehrseite des Sports, jene, die im Verborgenen schlummert und die doch, wie eine böse Fratze manchmal auftaucht um Unheil zu verbreiten. Für Lisa-Theresa Hauser ist es ein schwacher Trost, je eigentlich keiner, dass viele der besten Biathletinnen in der Vergangenheit schon “Corssfire” erlebt haben. Magdalena Forsberg, Magdalena Neuner oder Darya Domratscheva, die einmal stehend statt liegend schießen wollte. Nur das Publikum, das sich lautstark bemerkbar machte, verhinderte diesen Fauxpas, der Domratscheva 2015 fast den Gesamtweltcup gekostet hätte.
Hauser konnte niemand helfen. Sie hat mit ihren Fehlschüssen nicht nur ein Rennen verloren, sondern in dieser halben Minute gleich mehrere Chancen zunichtegemacht. Das macht ihre Situation so fassungslos unbegreiflich. Zum Glück ist sie jetzt nicht alleine. Ihr Freund Lorenz Wäger ist auch Biathlet. Ihre Eltern sind ihre größten Fans und haben ihre Karriere immer unterstützt. Sandra Flunger, die mittlerweile Trainerin in der Schweiz ist, hat sie ausgebildet und ist jetzt auch hier in Östersund. Lisa ist nicht alleine. Aber auch das ist letztlich nur ein schwacher Trost, denn in vielen Momenten ihrer weiteren Karriere wird dieser Tag doch ihre Gedanken beeinflussen, sich einschleichen wie ein Gift mit Langzeitwirkung. Die Zeit, heißt es oft so lapidar, die Zeit heilt Wunden. Ich kenne sie ein wenig, auch ihre Eltern. Lisa ist ein durchwegs positiv gestimmter Mensch und deshalb bin ich in ihrem Fall auch positiv eingestellt und wer weiß: Vielleicht gelingt es ihr sogar später mal, im Weichzeichner ihrer persönlichen Geschichte, über dieses Erlebnis in Östersund milde zu lächeln. Auch, dass das Leben weitergeht, ist eine berühmte Binsenweisheit, die dennoch im Sport ihre Berechtigung hat. Am nächsten Donnerstag steht nämlich der Single-Mixed-Wettkampf an. Gemeinsam mit Simon Eder hat sie bei den letzten Wettkämpfen dieser noch relativ neuen Disziplin in Pokljuka und Soldier Hollow zweimal den zweiten Platz belegt. Das wäre hier in Östersund eine Silbermedaille…….
Jeden Tag gibt es eine neue spannende Geschichte aus dem WM-Geschehen von Östersund. Eurosport Kommentator Sigi Heinrich nimmt uns mit hinter die Kulissen in Schweden – Elchgeflüster eben.