Ein letztes Mal noch aufbäumen. Schlussspurt. Wo sind sie, die Reserven? Alle aufgebraucht? Verdammt, es muss doch noch ein Rest vorhanden sein. Irgendwo versteckt eine winzige Energiequelle, die wir noch anzapfen können. Schließlich ist nach der Weltmeisterschaft vor dem Weltcup-Finale. Von wegen Saisonende. Wieder Koffer einpacken, auspacken. Das Leben im Biathlon-Zirkus ist bei weitem nicht so glamourös, wie viele glauben. Es ist im Gegenteil ein harter Job. Für alle Beteiligen und vor allem natürlich für die Protagonisten, für die Biathletinnen und Biathleten. Die meisten haben ihre Komfortzone schon lange nicht mehr gesehen. Die Familien, die Freunde, die gewohnte Umgebung. Auf vieles, was für viele das Leben erst lebenswert macht, müssen Sportler und ihre Entourage oft für lange Zeit verzichten. Und trotzdem jammert natürlich niemand. Es wird ja auch niemand gezwungen, ein solches Vagabundenleben zu führen, das andererseits auch Vorteile mit sich bringt. Es gibt keinen Alltagstrott, weil die Lokalität ja ständig wechselt. Wöchentlich meist. Vielleicht ist deshalb ein Weltmeisterschaft anstrengender als der normale Ablauf von Weltcup zu Weltcup, weil man plötzlich zwei Wochen in immer der gleichen Umgebung immer die gleichen Gesichter sieht. Und weil natürlich der berühmte Erwartungsdruck von Tag zu Tag grösser wird. Von den Aktiven wird Leistung verlangt in form von Medaillen. Und wehe, sie stellen sich nicht postwendend ein: Krise sag ich nur. Megakrise später, wenn die Niederlagen zur Gewohnheit werden. Trainer rätseln wie am Beispiel von Kinetixx-Topathlet Martin Fourcade, dem grossen Verlierer dieser Titelkämpfe. Ratlosigkeit umgibt den dominierenden Biathleten der letzten Jahre. Siebenmal hat er in Folge den Gesamtweltcup gewonnen, unzählige WM-Medaillen gesammelt und in Östersund dem Slogan der WM ständig Leben eingehaucht: “Jeden Tag ein neues Drama.” Sogar sein älterer Bruder Simon war wieder einmal vor ihm platziert.. Auch wir stehen unter intensiverer Beobachtung als normal. Quoten sag ich nur. Die schreibenden Kollegen suchen ständig Geschichten. Aufregende natürlich. Zum Glück gab es die hier zuhauf, denn diese Titelkämpfe werden als Zeitenwende im Biathlon in die Geschichte eingehen. Als Wachablösung. Johannes Thingnes Boe, bitte übernehmen sie. Während der Weltmeisterschaft hat er mit der Silbermedaille im Verfolger so nebenbei den Gesamt-Weltcup gewonnen. Im allgemeinen Entsetzen über die Tatsache, das er tatsächlich die Goldmedaille verschenkte mit dem letzten Schiessen, ging dies unter. Es fehlt ihm jetzt nur noch ein Sieg, um wie Fourcade dereinst 14 Saisonsiege einzufahren. Und weil der flotte Norweger erst 25 Jahre alt ist, könnten sogar die stets als unerreichbar geltenden Bestmarken von Ole-Einar Björndalen noch fallen. Boe muss bloss noch etwa zehn Jahr auf diesem Niveau laufen. Doch ob er das tun wird, ist fraglich. Er hat geheiratet. Oft hat das Folgen. Frag nach bei Erik Lesser oder Arnd Peiffer oder Selina Gaspariin oder Anastasia Kuzmina oder eben auch bei Martin Fourcade. Sie alle haben längst Nachwuchs bekommen, sind jetzt nicht nur Biathleten sondern auch Eltern. Es ist die Generation der über 30jährigen (Ausnahme Johannes Thingnes Boe), die den Rhythmus bestimmt. Doch wie lange noch? Es gibt eben auch die biologische Uhr. Vor allem bei den Biathletinnen ist es nicht einfach, sich zwischen Sport und Nachwuchs zu entscheiden. Auch deshalb (aber nicht nur deshalb) hat etwa Magadelena Neuner frühzeitig ihre Karriere beendet. Und es kann sein und die Zeichen mehren sich, dass eine andere deutsche Athletein auch ziemlich bald, vielleicht sogar sehr bald, den Dienst quittieren wird. Und mit diesem Rätsel verabschiede ich mich aus Östersund, meiner zwanzigsten Biathlon-Weltmeisterschaft. Die nächste Station wartet schon. Das Weltcup-Finale in Oslo. Bis dahin also.