Bewaffnete Legenden

Biathlon hat viele Helden herausgebracht, in Peking kommen neue hinzu

Der Russe Wiktor Tichonow war der Erste. Der erste Biathlet, dem man den Status „Legende“ verpassen kann. Zu Zeiten, als von Weltcups ebenso wenig die Rede war wie von ausufernden Konkurrenzen vom Team-Sprint bis zum Massenstart, da dominierte der Russe in den frühen siebziger Jahren die Konkurrenz. Um Tichonow herum allerdings war es noch ziemlich einsam, die Sportart in Sachen Popularität weit weg vom heutigen Niveau.

Dann kam Frank Ullrich aus Oberhof und wurde zum Dominator, siegte im frisch geschaffenen Weltcup von 1978 bis 1982 ohne Unterbrechung. Ganz nebenbei, seit 1978 schoss man mit Kleinkalibermunition, Durchmesser 5,6 mm, zuvor waren Patronen mit 6,5 mm Durchmesser verwendet worden. Letzter Weltmeister mit der großen Wumme war Tichonow, erster mit der neuen Waffe der Norweger Odd Lirhus, die Ostdeutschen hielten sich mit Gold im Sprint durch Ullrich und in der Staffel schadlos.

Man könnte die Sache jetzt so minutiös fortschreiben, das Resultat wäre ein Buch. Wenn man sich aber verknappt auf ein paar Schlüsselmomente fokussiert, fällt in den 80er Jahren zunächst der Name Peter Angerer, der die Sportart in Westdeutschland zu bis dahin ungekannter Popularität führte. Andere Länder hatten andere Helden, die Norweger Eirik Kvalfoss, die UdSSR Juri Kaschkarow. Die Ostdeutschen fanden mit Frank-Peter Roetsch einen würdigen Nachfolger für Ullrich. Mit heutiger Brille betrachtet wirken diese Jahre aber immer noch wie ein Blick in die Grundschule der Sportart.

Die frühen 90er Jahre aber, die waren eine Art Erweckungserlebnis für die Sportart. Das lag zunächst schnöde daran, dass Frauenbiathlon endlich die Bedeutung bekam, die es verdiente. Und daran, dass 1993 die IBU gegründet wurde, zuvor war man seit 1953 bei den Modernen Fünfkämpfern angedockt gewesen. Und mit dem Slowenen Janis Vodicar an der Spitze schafften es die Winterzweikämpfer ihre Wettbewerbe step by step so zu verändern, dass sich das Fernsehen mehr und mehr interessierte, die höhere TV-Präsenz zu mehr Werbemöglichkeiten und mehr Attraktivität führte. Und natürlich wurden Stars geboren. Magdalena Forsberg, die Schwedin, bei den Damen, Myriam Bedard aus Kanada oder Anfissa Reszowa aus Russland, natürlich Uschi Disl und Petra Schaaf. Bei den Männern gab es eine DSV-Erfolgs-Generation mit Kirchner, Gross, Fischer Luck und Greis – die Liste ist unvollständig. Und es begann die große Zeit des Ole-Einar Björndalen.

Wenn es im Biathlon einen Superstar gibt, einen Überflieger, einen, der doch noch den Kick besser war als die Konkurrenz, dann der Norweger. Acht Olympiasiege, 20 Weltmeistertitel, jede Menge Weltcuperfolge; als die IBU vor Saisonbeginn die Biografien der Sportler verteilte, hatte nur Björndalen eine Doppelseite im Heft, ein normales Blatt reichte nicht aus, um alle Erfolge festzuhalten. Aber der Norweger war nicht alleine, die Konkurrenz zog und zerrte an seinem Thron. Oft mit Erfolg. Raphael Poiree, Emil Hegle Svendsen seien genannt, dann folgte die Äre des Martin Fourcade, der Franzose dominierte mehrere Jahre, wurde dann von Johannes Tignes Boe abgelöst. Und in Peking ist es durchaus möglich, dass ein neuer Held geboren wird – Quentin Fillon Maillet. Der Franzose hat schon eine Goldmedaille in der Tasche, weitere können durchaus folgen.

Bei den Frauen gab es nach der Ära Forsberg viele Nachfolgerinnen. Liv Grete Poiree aus Norwegen, Kaisa Mäkäräinen, die Finnin oder Darja Domratschewa, Gabriela Soukalova und Dorothea Wierer.

Aber immer wieder standen nach der Jahrtausendwende auch Deutsche im Mittelpunkt: Kati Wilhelm, Martina Glagow oder Andrea Henkel. Zwei Frauen aus Bayern aber avancierten zu Superstars – was Björndalen bei den Herren waren Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier bei den Frauen – Überfliegerinnen. Inzwischen haben Norwegerinnen und Schwedinnen das Kommando übernommen und eine Frau, die wie einst Kati Wilhelm als Quer-Einsteigerin aus dem Langlauf zum Biathlon kam. Denise Herrmann wurde in Peking Olympiasiegerin, das ist die Eintrittskarte in den Klub der Allerbesten. Wohin die Reise führt, werden die nächsten Tage zeigen.

Photo:K.Voigt Photography

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