Ausreißer nach oben oder turn around?

Norwegens Skisprung-Elite sendet in Willingen ein starkes Lebenszeichen

Manchmal ist es wie verhext. Während Norwegens Biathlon-Armada, Langläuferinnen und Langläufer sowieso, aber auch die Jungs und Mädels in der Nordischen Kombination in diesem Winter – so wie in den Jahren zuvor – auf Top-Niveau performen, die Weltspitze dominieren, hüpften Spezialspringerinnen und Spezialspringer gnadenlos hinterher. Seit Beginn des Weltcup-Winters war die Form wie abgeschnitten, die einst dominanten Männer sahen kein Land. Für Überflieger Halvor Egner Granerud steht als beste Saisonplatzierung ein mickriger vierter Rang von Engelberg in den Büchern, Marius Lindvik wurde damals sogar Zweiter. Viele Experten glaubten zu diesem Zeitpunkt noch an eine perfekt geplante Formkurve mit einem phantastischen Ausschlag zur Vierschanzentournee. Doch weit gefehlt. Die Schützlinge von Alexander Stöckl fanden einfach nicht in die Spur. Auch die Skiflug-WM, sonst stets ein Freudenspender in Sachen Platzierung, geriet zum Rohrkrepierer.

Bei den Frauen nahezu das gleiche Bild: Maren Lundby sagte kurz vor Weihnachten für immer Tschüss zu den Schanzen dieser Welt. Die einstige Vorzeigefliegerin – damit auch ein Schutzschild für das gesamte Team – hatte turbulente Zeiten hinter sich, im Olympiawinter pausiert, dann wieder den Anschluss an die Weltspitze geschafft, im Sommer nur einmal international aufgetaucht und dann im Weltcup nicht mehr angetreten. Formschwäche lautete die Diagnose. Nun also fehlt Lundby nicht nur dem Team, sondern der gesamten Konkurrenz. Aber in ihrem Schatten sprangen andere Norwegerinnen schon stärker. Nicht so im Winter 23/24. Wenngleich: Immerhin fünf Podestplätze für Norwegens derzeit Beste: Eirin Maria Kvandal sind ein überaus respektabler Leistungsnachweis. Hinzu kam auch noch Pech, Anna Odin Stroem verletzte sich bei einem Sturz in Engelberg so schwer, dass die 25jährige anschließend am Knie operiert werden musste und die Saison für sie vorzeitig beendet ist.

Tristesse pur also bei Norwegens stolzen Adlerinnen und Adlern? Denkste! Denn das Weltcup-Wochenende in Willingen zeigte: Die Mannschaft lebt und Springerinnen und Springer aus dem Land der Fjorde können doch noch gewinnen. Bei miserablen Bedingungen im auf der größten Skisprungschanze der Welt performte plötzlich Johan Andre Forfang, war schon in der Qualifikation spitze und segelte im Wettkampf in Durchgang eins vorn mit, um im Finale noch einmal eine Steigerung hinzulegen. Und was für eine: 155 Meter bedeuteten neuen Schanzenrekord und den ersten Erfolg für einen Skispringer aus dem Mutterland des Springens in diesem Winter. Da wollten die Damen nicht nachstehen und Silje Opseth holte am Tag darauf den ersten Sieg für Norwegens Frauen. Was die Frage aufwirft: Waren die Erfolge nun die berühmte „Eintagsfliege“ oder folgt jetzt die späte Attacke auf die Weltspitze?

Gelegenheiten, die bisher durchwachsene Saison zu einem versöhnlichen Ende zu führen, gibt es noch reichlich. Vor allem wartet ja noch die RAW-Air, die Sprungserie in heimischen Gefilden mit dem spektakulären Skifliegen in Vikersund als Abschluss. Zuvor steht bei den Herren aber noch die Weltreise nach Lake Placid und anschließend Sapporo an, dann folgen Oberstdorf und Lahti, ehe die Norwegen-Tour Fahrt aufnimmt. Die Frauen drehen in Sachen Reisen nicht die ganz große Runde, bleiben in Europa, doch auch für die Springerinnen gilt: Das letzte Saisonhighlight steigt in Norwegen. Und da wollen Skandinavierinnen und Skandinavier beweisen, dass sie das Springen nicht verlernt haben: Luft nach oben ist für Tande und Johansson, Sundal und Granerud bei den Herren oder Bjoerseth und MIdtskogen bei den Damen allemal.

Photo by Dominik Berchtold/VOIGT

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