Ein Jahr vor Olympia gibt es noch mehr Fragen als Antworten
Der vorolympische Winter war noch nicht ganz vorbei, da nahm die kommende Saison schon Fahrt auf. Denn sowohl für die Verbände, als auch für Sportlerinnen und Sportler rückte Peking immer stärker in den Focus. Und wenn man ganz ehrlich ist – die Olympischen Spiele schwirrten sogar vor der Corona-Saison schon in den Gedanken vieler Beteiligter herum. Da wären beispielsweise die Biathleten. Für die hatte der Weltverband IBU vor Saisonbeginn 2020/21 einen Weltcup auf den Olympiastrecken ins Wettkampfprogramm gehoben – allerdings zu einem Zeitpunkt, der die Trainer in den einzelnen Ländern zusammenzucken lies, passte die Reise nach Fernost doch so gar nicht in die Weltcupsaison. Nun macht der Weltcup-Zirkus der Skijäger nicht zum ersten Mal auf anderen Kontinenten Station, man war schließlich auch schon in Kanada und den USA oder in Südkorea, aber der Termin korrespondierte mit den anderen Weltcups gar nicht und so war ziemlich schnell klar, dass die Top-Nationen auf diese Offerte dankend verzichten wollten. Den „Rest“ besorgte Corona, denn die strikten Restriktionen der Chinesen in puncto Quarantäne ließen einen Weltcup im Reich der Mitte ohnehin nicht zu. Ähnlich erging es den Nordischen Skidisziplinen. Schon ein vorolympisches Meeting im Herbst geriet zur Farce, die Teilnehmer mussten erst tagelang in einem Hotel in Peking die Quarantänezeit absitzen, um dann per Videoschalte Eindrücke von den Schanzen zu erhalten, ein Besuch vor Ort fand nicht statt. Und zwei Monate vor Saisonstart sagten die Olympiagastgeber den eigentlich obligatorischen Weltcup im vorolympischen Winter kurzerhand ganz ab. Der steht zwar nicht zwingend im Pflichtenheft, war aber in den letzten Jahrzehnten gelebte Praxis. Nun ist guter Rat teuer, denn eigentlich bleibt zum Kennenlernen der Schanze nur noch der Sommer-Grand-Prix. Und der steht gerade vor der Olympiasaison nur bei wenigen der Spitzenkräfte auf der Agenda. Den Kombinierern geht es ähnlich, der Langlauf-Weltcup fiel ebenfalls aus – das birgt für die Spiele zwar nach wie vor Chancengleichheit, aber auch Unwägbarkeiten. In Nagano 1998 beispielsweise waren die Schneeverhältnisse völlig andere als in Europa oder Nordamerika – entsprechend oft griffen die Techniker in den Wachskabinen daneben, weil Erfahrungswerte fehlten. Es ist durchaus vorstellbar, dass das auch in China passieren kann. Ganz abgesehen davon, dass jede Schanze ihre Eigenheiten hat, auf die sich die Top-Springerinnen und Springer normalerweise aber einstellen können, wenn man sie denn lässt.
Neben den – auch Pandemie-bedingten – Unwägbarkeiten außerhalb des Sports treiben die Aktiven natürlich auch noch andere Themen an. Was wird aus dem eigentlich für die Saison 2021/22 beschlossenen Verbot der Fluor-Bestandteile im Ski-Wachs? Wie ändern sich die Einreisebestimmungen in China in den nächsten Monaten? Welche Erkenntnisse brachte die abgelaufene Saison? Hatten die veränderten Trainingsbedingungen im letzten Jahr Auswirkungen auf Leistungsstärke, Periodisierung, das Timing zum Wettkampfhöhepunkt, die Wettkampfhärte auch zu Saisonende? Werden die in diesem Winter Erfolgreichen ihre Form auch für das kommende Jahr so aufbauen können? Kommen Verletzte zurück? Und mindestens genauso wichtig: Reichen die Mittel, um alle Vorbereitungen wie geplant durchführen zu können. Schließlich war und ist die Pandemie-Zeit geprägt von Einnahmeverlusten, in vielen Verbänden müssen die Gürtel enger geschnallt werden. Und – Ist das Rennen gegen das Corona-Virus zeitlich überhaupt zu gewinnen?
Fragen über Fragen! Antworten sind gegenwärtig noch nicht möglich. Aber der Faktor Zeit wird ein entscheidender auf dem Weg nach Peking. Alle Augen sind schon auf die Olympischen Spiele gerichtet, hoffnungsfroh auf der einen, sorgenvoll auf der anderen Seite.
Foto: Kevin Voigt Fotografie