Wie werde ich Skifliegerin?

Versuch einer Annäherung an eine spektakuläre Disziplin

Katharina Schmid hat es nicht leicht in diesen Tagen. Denn eigentlich wartet die 27jährige seit einem Jahr darauf, dass es wieder losgeht in Vikersund, dem Ort, an dem sie einen ihrer letzten noch unerfüllten sportlichen Träume verwirklichen will. Die Oberstdorferin möchte nämlich in die illustre Runde von Skispringerinnen aufgenommen werden, die über die 200 Meter-Marke gesegelt sind. Bei der Premiere des Skifliegens für Frauen im letzten Winter fehlten der deutschen Rekordweltmeisterin, die damals noch unter ihrem Mädchennamen Althaus in Norwegen am Start war, gerade mal 90 Zentimeter, Schmids persönlicher Weitenrekord liegt also bei stolzen 198,5 Metern. Weit – aber eben nicht weit genug für eine Klassesportlerin mit den Ansprüchen einer Katharina Schmid.

Aber wie wird man eigentlich zur Weitenjägerin? Im Falle Althaus ist die Sache relativ einfach: Katharina wuchs im Allgäu auf, hohe Berge, viel Schnee waren da garantiert und mit der Marktgemeinde Oberstdorf ums Eck gab es einen Ort, in dem die Vierschanzentournee Jahr für Jahr Station macht. Kein Wunder, dass es Daniel, den Bruder der späteren Weltklasse-Springerin da auf die Schanzen zog. Und weil die Schwester nicht nachstehen wollte, ging „Katha“, so Schmids Spitzname, einfach mit.

Der „Rest“ ist relativ leicht erklärt. Weil Talent, Fleiß und Einstellung stimmten, weil ihre Begabung erkannt und gefördert wurde, erklomm Fräulein Althaus im Nachwuchsbereich Sprosse um Sprosse, die Schanzen, von denen sie sprang wurden größer und größer und spätestens als ihr mit gerade mal 18 Jahren bei der WM in Falun mit Gold im Mixed-Team-Wettbewerb bei den Erwachsenen der internationale Durchbruch gelang, war die Entwicklung nicht mehr zu stoppen. Inzwischen hat Althaus sieben WM-Titel eingesammelt, dazu zwei Olympische Silbermedaillen und jede Menge Weltcupsiege. Was fehlt ist der „200er“-

Maren Lundby aus Norwegen ging einen ähnlichen Weg. Zwei Jahre älter als Schmid und schon als kleines Kind auf Schanzen unterwegs – was in Norwegen nicht außergewöhnlich ist – wurde ihr Talent früh erkannt. Lundby startete schon bei der WM-Premiere der Skispringerinnen 2009 im tschechischen Liberec, belegte zwar nur Platz 26, darf aber für sich in Anspruch nehmen, erste WM-Springerin gewesen zu sein, denn Lundby hatte Startnummer 1.  Auch bei ihr ließen die Erfolge nicht auf sich warten. Zu den größten gehören der Olympiasieg in Pyeongchang 2018, die WM-Titel von Seefeld 2019 und Oberstdorf, aber eben auch Platz 2 im Mixed-Team 2015, jenem Wettbewerb, den Althaus und ihre drei Mitstreiter gewannen. Spätestens da spannte sich zwischen den beiden Sportlerinnen ein unsichtbares Band. Denn sowohl die Deutsche, als auch die junge Frau aus Norwegen kämpften zwar auf der Schanze im Wettkampf gegeneinander – ansonsten aber gemeinsam für die Gleichbehandlung von Skispringerinnen und Skispringern. Und deshalb auch dafür, dass das Skifliegen für Frauen Teil des Weltcup-Programms wird.

Im Vorjahr testete der Weltskiverband FIS, was möglich ist, lud die Besten zu einem Fliegen nach Vikersund ein. Althaus erreichte da die ominösen 198,5 Meter. Maren Lundby hatte mehr Glück und Erfolg: Ihre 216,5 Meter bedeuteten norwegischen Rekord und die endgültige Aufnahme in die hall of fame des Frauenskispringens. Inzwischen hat die inzwischen 29jährige ihre aktive Laufbahn beendet, spektakulär – wie sich das für eine Lundby gehört – mitten in der Saison. Schmid springt dagegen weiter. Wie lange noch, das wird sich zeigen. Möglicherweise wäre ein Satz über 200 Meter in Vikersund ein Grund mehr, mit dem Leistungssport aufzuhören. Erreicht haben beide Fliegerinnen (fast) alles. Bei Katharina Schmid fehlen eventuell 90 Zentimeter, aber wenn es damit nicht klappen sollte, würde das der glänzenden Laufbahn der Oberstdorferin auch keinen Abbruch mehr tun.

Pictures: K. Voigt Fotografie

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